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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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räusperte sich. »Alles hängt davon ab, daß wir mehr Robben auf den Eisschollen aufspüren und erlegen.«
    Ich wußte genau wie alle anderen Theilnehmer der Expedition, daß wir seit dem Aufbruch aus der Comfort Cove vor sechs Wochen genau zwey Robben geschossen und genossen hatten.
    Capitain Crozier ergriff wieder das Wort. »Vorderhand dürfte es wohl das Klügste seyn, wieder nach Norden zur Küste von King-William-Land zu ziehen. Das sind drey oder vier Tagesmärsche. Moos und Felsenflechten kann man essen. Ich habe gehört, daß sich aus den geeigneten Arten eine halbwegs genießbare Suppe kochen läßt. Falls man die geeigneten Arten von Moos und Felsenflechten findet.«
    Sir John Franklin, schoß es mir durch den müden Kopf, der Mann, der seine Stiefel gegessen hatte. Mein älterer Bruder hatte mir diese Geschichte wenige Monathe vor unserer Abreise erzählt. Sir John hätte aus eigener leidvoller Erfahrung gewußt, welche Arten von Moos und Felsenflechten die richtigen sind.
    »Die Männer werden sich freuen, das Eis zu verlassen.« Ich hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. »Und sie werden überglücklich seyn darüber, daß wir weniger Boote zu ziehen haben.«
    »Danke, Dr. Goodsir«, erwiderte Crozier. »Das wäre alles.«
    Ich grüßte ihn mit einem jämmerlichen Nicken und trat hinaus. Dann machte ich meine Visite bei denjenigen, welche besonders stark unter dem Scorbut leiden. Wir haben kein Lazarettzelt mehr, und so gehen Bridgens und ich jeden Abend von Zelt zu Zelt, um unseren Patienten mit Rath und Arzney zur Seite zu stehen. Endlich wankte ich zu meinem eigenen Zelte, welches ich mit Bridgens, dem bewußtlosen Davy Leys, dem sterbenden Maschinisten Thompson und dem schwer erkrankten Zimmermann Mr. Honey theilte, und fiel sofort in tiefen Schlaf.

    In dieser Nacht öffnete sich das Eis und verschlang das Hollandzelt, in welchem die fünf Seesoldaten der Terror nächtigten: Sergeant Tozer, Corporal Hedges sowie die Gefreiten Wilkes, Hammond und Daly.
    Nur Wilkes vermochte sich aus dem Zelte zu befreien, ehe es in der weindunklen See versank. Wenige Sekunden bevor sich der Spalt im Eise mit einem ohrenbetäubenden Krachen wieder schloß, wurde er herausgezogen.
    Aber der Gefreite war zu durchfroren, krank und verängstigt, um sich zu erholen, wiewohl Bridgens und ich ihn in unsere letzten trockenen Gewänder wickelten und ihn zwischen uns in den Schlafsack legten. Kurz vor Sonnenaufgang that er seinen letzten Athemzug.
    Am nächsten Morgen wurde sein Leichnam zusammen mit weiteren Kleidungsstücken sowie den vier aufgegebenen Booten und Schlitten zurückgelassen.
    Weder für ihn noch für die anderen Seesoldaten gab es eine Bestattung.
    Kein Hurra wurde laut, als der Capitain verkündete, daß die vier Boote und drey Schlitten nicht mehr gezogen werden mußten.
    Wir wandten uns nach Norden, wo gleich jenseits des Horizonts Land lag. Gewiß hat nicht einmal Napoleon seinen Rückzug aus Moskau als solche Niederlage empfunden.
    Drey Stunden später krachte es erneut im Eise, und wir standen vor Rinnen und Seen im Norden, welche zu klein waren, um die Boote zu Wasser zu lassen, und zu groß, um die Boote und Schlitten hinüberzuziehen.

49
Crozier
    KING-WILLIAM-LAND
BREITE UNBEKANNT | LÄNGE UNBEKANNT
27. JULI 1848
     
     
     
    W enn Crozier auch nur einige Minuten schlief, kamen die Träume wieder. Die zwei Skelette in dem offenen Boot. Die unerträglichen amerikanischen Mädchen, die mit den Zehen schnalzen, um ein spiritistisches Pochen an ihrem Tisch in dem abgedunkelten Zimmer vorzutäuschen. Der als Polarforscher posierende amerikanische Doktor, ein pummeliger Mann im Eskimoanorak, der stark geschminkt auf einer hell erleuchteten Bühne steht. Dann erneut die beiden Skelette im Boot.
    Jeder noch so kurze Schlaf endete mit dem Traum, der ihn am meisten verstörte.
    Er ist ein Junge und befindet sich mit Memo Moira in einer riesigen katholischen Kirche. Francis ist nackt. In der Kathedrale ist es kalt, vor allem der Marmorboden unter den bloßen Füßen. Auf den weißen Kirchenbänken liegt Eis.
    Vor der Altarschranke kniend, spürt der junge Francis Crozier Memo Moiras beifälligen Blick von hinten, aber er wagt es nicht, sich zu ihr umzudrehen. Er fühlt, dass sich jemand nähert.
    Der Priester scheint sich aus einer Falltür im Marmorboden hinter der Altarschranke zu erheben. Der Mann ist zu groß, viel
zu groß, und von seinen weißen Gewändern tropft das Wasser. Nach Blut, Schweiß und etwas

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