Terror
um unsere Köpfe. Nagend spülte das schwarze Wasser heran. Stöhnend bewegte sich das Eis zu unseren Füßen.
Gewiß dachten wir alle, daß dies ein angemessener Todtenspruch für jeden einzelnen von uns sey. Bis zu diesem Tage, bis zum Verlust des Walbootes sammt allen Insassen, zu welchen der stellvertretende Commandant Leutnant Little, der unersetzliche Mr. Reid und der allseits beliebte Mr. Peglar gezählt hatten, hatten wohl viele von uns noch auf ein Entrinnen gehofft. Doch jetzt mußten wir all unsere Hoffnungen begraben.
Das lang ersehnte und allgemein bejubelte offene Wasser war eine heimtückische Falle.
Das Eis will uns nicht freigeben.
Und das Wesen aus dem Eise will uns nicht ziehen lassen.
Der Bootsmann Johnson rief: »Schiffsvolk, Mützen ab!« Wir nahmen die bunten, schmutzigen Kopfbedeckungen ab.
»Wir wissen, daß unser Erlöser lebt«, krächzte Capitain Crozier mit seiner heiseren Stimme. »Und als der letzte wird er über dem Staube sich erheben. Und nachdem diese unsere Haut zerschlagen ist, werden wir ohne unser Fleisch Gott sehen. Denselben werden wir uns sehen, und unsre Augen werden ihn schauen, und kein Fremder. O Herr, nimm deine demüthigen Diener, den Eislothsen James Reid, den Vortoppmann Harry Peglar und ihren unbekannten Maat zu dir in dein Reich und nimm mit den zweyen, welchen wir einen Namen geben können, auch die Seelen des Leutnants Edward Little, des Matrosen Alexander Berry, des Matrosen Henry Sait, des Matrosen William Wentzall, des Matrosen Samuel Crispe, des Matrosen John Bates und des Matrosen David Sims zu dir. Und wenn einst unsere Tage gezählt sind, Herr, so erlaube uns, zu ihnen in dein Reich einzugehen. Höre unser Gebeth, o Herr, für unsere Schiffsmaaten und für uns und unser aller Seelen. Vernimm unser Schreien und schweige nicht über unsren Thränen. Laß ab von uns, daß wir uns erquicken, ehe denn wir hinfahren und nicht mehr hier seyen. Amen.«
»Amen«, flüsterten wir alle.
Die Bootsmannsmaaten hoben die sterblichen Überreste hoch und ließen sie nacheinander ins Wasser gleiten, in welchem sie sogleich versanken. Als wollten unsere verblichenen Schiffsmaaten noch ein letztes Mal zu uns sprechen, stiegen weiße Blasen auf, dann wurde die Oberfläche des Sees wieder schwarz und still.
Sergeant Tozer und zwey Seesoldaten feuerten eine einzige Salve aus ihren Büchsen ab.
Capitain Crozier starrte mit einem Ausdruck in den schwarzen See, welcher manche unterdrückte Empfindung verrieth. Dann wandte er sich an uns alle, die wir mit hängenden Schultern und bedrücktem Gemüthe um ihn standen. »Wir marschieren sofort los. Wir können die Boote und Schlitten noch eine Meile weit schleppen, bevor es Schlafenszeit ist. Wir ziehen nach Südosten zur Mündung des Großen Fischflusses. Auf dem Eise kommen wir gewiß leichter voran.«
Wie sich herausstellte, kamen wir auf dem Eise viel schwerer voran. Und endlich ward es ganz unmöglich. Dies lag jedoch nicht an den Preßrücken
oder dem Heben der Boote, mit welchem wir ja schon vertraut waren, wiewohl es uns aufgrund unserer Auszehrung, Krankheit und Schwäche wahrlich sauer ankam.
Nein, letztlich war es das brechende Eis, welches unseren Weitermarsch verhinderte.
An jenem langen arctischen Abend des 10. Juli zogen wir wie immer in zwey Staffeln, indeß hatte unser um neun weitere Männer verminderter Troß viel weniger als eine Meile zurückgelegt, ehe wir endlich anhielten, um unsere Zelte aufzuschlagen und ein wenig zu schlafen.
Zwey Stunden später wurden wir aus unserer Ruhe gerissen, als es im Eise krachte und rumorte. Die ganze riesige Masse schaukelte auf und nieder. Es war eine äußerst ängstigende Erfahrung, und wir alle eilten zu den Zeltausgängen und schwärmten kopflos umher.
Manche Matrosen machten sich gar daran, Zelte abzubauen und die Boote vorzubereiten, doch dann wurden sie von Capitain Crozier, Mr. Couch und dem Ersten Unterleutnant Des Voeux lauthals zur Ordnung gerufen. Die Officiere stellten uns vor Augen, daß es in unserer Nähe keine Anzeichen von Sprüngen im Eise gab und daß sich selbiges lediglich bewegte.
Nach Ablauf einer Viertelstunde kam das Eis allmählich wieder zur Ruhe, bis die gefrorene See wieder fest wie Stein unter unseren Füßen lag. So krochen wir zurück in unsere Zelte.
Eine Stunde darauf begann das Schaukeln und Krachen von neuem. Tief erschrocken lief manch einer abermals hinaus in die Kälte und den Wind, die muthigeren unter den Seeleuten
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