Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
ließen sich nur selten blicken und waren meistens längst wieder in ihren winzigen Eislöchern verschwunden, ehe die Männer zum Schuss kamen. Mehrere Male, so berichteten die erfolglosen Jäger, hatten sie schwarze Ringelrobben mit einer Schrotladung oder sogar mit einer Büchsenkugel getroffen. Aber den Tieren war es gelungen, vor dem Verenden wieder ins schwarze Wasser zu gleiten und wegzuschwimmen, so dass nur eine Blutspur auf dem Eis zurückblieb. Mitunter knieten sich die Jäger hin und leckten das Blut auf.
    Crozier hatte schon viele Sommer in arktischen Gefilden erlebt. Er wusste, dass spätestens Mitte Juli auf dem Wasser und dem aufbrechenden Eis reges Leben hätte herrschen müssen: riesige Walrosse, die sich auf Eisschollen sonnten und mit einem rülpsenden Bellen schwerfällig am Wasserrand entlangwälzten; zahllose Robben, die wie spielende Kinder im Wasser umhersprangen und sich auf komisch anmutende Weise über das Eis schoben; wasserspeiende Weiß- und Narwale, die in den offenen Rinnen tauchten und die Luft mit ihrem fischigen Blas erfüllten; Eisbärenweibchen, die vor ihren unbeholfenen Jungen durchs schwarze Wasser schwammen und sich auf unnachahmliche Weise das Nass aus dem Pelz schüttelten, wenn sie auf eine
Scholle kletterten, stets auf der Hut vor den großen, gefährlichen Männchen, die ohne Zögern über die Jungen und das Muttertier herfielen, wenn ihr Magen leer war; und schließlich eine Fülle von Vögeln, von Seeschwalben, Möwen und Gerfalken, die den blauen Himmel fast verdunkelten, nach allen Seiten übers Wasser jagten und an der Küste, auf den Schollen und auf den unregelmäßigen Gipfeln der Eisberge saßen wie die Noten einer Partitur.
    Zum zweiten Mal in Folge bewegte sich in diesem Sommer so gut wie nichts auf dem Eis – nur Croziers dezimierte Männer, die in ihrem Zuggeschirr ächzten, und ihr unbarmherziger Verfolger, der sich immer wieder kurz zeigte und dabei stets außerhalb der Reichweite ihrer Flinten und Büchsen hielt. Einige Male am Abend hörten die Seeleute das Jaulen von Polarfüchsen und fanden auch häufig ihre zarten Spuren im Schnee, doch die Jäger bekamen keinen von ihnen zu Gesicht. Und wenn sie Wale sahen oder hörten, waren diese immer viele Rinnen oder Schollen entfernt. Selbst wenn die Männer in ihrer Verzweiflung und ohne Rücksicht auf das eigene Leben von einer schwankenden Scholle zur nächsten sprangen, hatten die Seesäuger genügend Zeit, um wie beiläufig unterzutauchen und spurlos zu verschwinden.
    Crozier wusste nicht einmal sicher, ob sie mit ihren Gewehren einen Nar- oder einen Weißwal töten konnten, aber er vermutete, dass es möglich war. Mit mehreren Büchsenkugeln ins Gehirn konnte man jedes Tier töten, außer vielleicht die Bestie, die sie verfolgte. Diese wurde von den Seeleuten schon längst nicht mehr als ein Tier betrachtet, sondern als eine zornige Gottheit aus dem Buch Leviathan des Kapitäns. Falls sie einen Wal erlegten und irgendwie die Kraft fanden, ihn aufs Eis zu ziehen und sein Fett auszulassen, konnte Diggle seinen Herd damit mehrere Wochen und Monate heizen, und sie würden Speck und frisches Fleisch essen, bis sie platzten.

    Am liebsten hätte Crozier allerdings das Wesen selbst getötet. Im Gegensatz zur Mehrheit der Besatzung hielt er es für sterblich. Vielleicht war es ja klüger als der erschreckend intelligente Polarbär, aber trotzdem nichts weiter als ein Tier.
    Wenn er das Wesen umbrachte, konnte er damit viel erreichen. Die bloße Tatsache seines Todes, die süße Rache für so viele Verluste, würde die Moral der Überlebenden mehr heben als die Entdeckung von zwanzig Gallonen Rum.
    Nach dem Tod Leutnant Littles und seiner Männer in dem Eissee hatte die Bestie sie nicht mehr behelligt. Keiner war ihr seither zum Opfer gefallen. Alle Jagdtrupps hatten Befehl, sofort umzukehren, falls sie die Spuren des Ungeheuers im Schnee fanden. Crozier hatte die Absicht, der Bestie mit allen verfügbaren Männern und Waffen auf einmal nachzustellen. Wenn es sein musste, würde er die Leute auf Töpfe und Pfannen schlagen und aus vollem Hals brüllen lassen, um das Wesen aufzuscheuchen – wie bei einer Treibjagd auf einen Tiger im hohen Gras Indiens.
    Doch gleichzeitig wusste er, dass das wenig nutzen würde. Um das Wesen anzulocken, brauchten sie einen Köder, der besser funktionierte als der vor Sir Johns Bärenfalle. Crozier hatte keinen Zweifel, dass ihnen das Wesen noch immer folgte. In den zunehmenden

Weitere Kostenlose Bücher