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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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an sich Croziers Stellvertreter, aber der Kapitän gab ihm keinerlei Befehlsgewalt mehr. So mussten Crozier, Des Voeux und Couch die Männer wachrütteln und zum Jagen, zum Reparieren der Schlitten und Kalfatern der Boote abkommandieren, damit sie nicht den ganzen Tag in den eisigen Schlafsäcken und tropfnassen Zelten herumlagen. Im Grunde jedoch konnten sie nicht viel mehr tun, als tagelang auf den miteinander verbundenen Schollen zu sitzen, da die vielen winzigen Rinnen, Risse und Ritzen mit offenem Wasser und die Flecken aus dünnem und morschem Eis jedes Weitermarschieren nach Süden, Osten und Norden unmöglich machten.
    Crozier weigerte sich, wieder zurück nach Westen und Nordwesten zu ziehen.
    Aber die Schollen trieben nicht in die gewünschte Richtung nach Südosten zur Mündung des Großen Fischflusses. Sie drehten sich nur um sich selbst, so wie es schon das Packeis getan hatte, das die Erebus und Terror zwei Winter lang gefangengehalten hatte.
    Schließlich brach ihre Scholle am 22. Juli so weit auseinander, dass Crozier alle Mann in die Boote beordern konnte.

    Mehrere Tage lang trieben sie mit Leinen zusammengespannt durch offene Wasserflecken und Rinnen, die zu klein zum Rudern und Segeln waren. Crozier hatte den schweren Theodolit zurückgelassen und nur den Sextanten behalten. Während die anderen schliefen, nahm er Messungen vor, so gut es bei der nur selten aufbrechenden Wolkendecke möglich war. So rechnete er aus, dass ihre Position ungefähr fünfundachtzig Meilen nordwestlich der Mündung von Backs Fluss lag.
    Seit Tagen erwartete Crozier schon, die schmale Landzunge zu erblicken, die King-William-Land mit der kartographisch bereits erfassten Adelaide-Halbinsel verbinden sollte. Als er am Morgen des 25. Juli, einem Dienstag, erwachte, stellte er fest, dass die Luft kälter geworden und der Himmel blau und wolkenlos war. Im Norden und Süden konnte er in einer Entfernung von mehr als fünfzehn Meilen dunkles Land erahnen.
    Wenig später rief er die Seeleute zusammen und verkündete vom Bug seines Walboots aus: »Männer, King-William-Land ist wirklich eine Insel. Ich bin mir jetzt sicher, dass sich überall nach Osten und Süden bis zu Backs Fluss die See erstreckt, aber ich verwette mein letztes Pfund darauf, dass es zwischen dem Kap dort hinten im Südwesten und dem im Nordosten keine Landverbindung gibt. Wir befinden uns in einer Meeresstraße. Und da wir nördlich der Adelaide-Halbinsel sind, haben wir das Ziel von Sir John Franklins Expedition erreicht. Das hier ist die Nordwestpassage. Mein Gott, Maaten, ihr habt es geschafft!«
    Schwacher Jubel war zu hören, gefolgt von Husten.
    Wenn die Boote und Schollen nach Süden getrieben wären, hätten sie sich wochenlanges Schleppen und Segeln ersparen können. Aber die Rinnen und offenen Wasserstellen, in denen sie sich befanden, brachen auch weiterhin alle in Richtung Norden auf.
    Das Leben in den Booten war genauso erbärmlich wie das Leben auf den Schollen. Die Männer saßen einfach zu dicht aufeinander.
Obwohl zusätzliche Planken auf den Duchten der Walboote, deren Wände von Mr. Honey nach oben hin verlängert worden waren, eine zweite Ebene schufen und die zerlegten Schlitten wie Roste mittschiffs der überfüllten Kutter und der Pinasse lagen, drängten sich die Männer in ihrer nassen Wollkleidung Tag und Nacht aneinander. Um ihre Notdurft zu verrichten, mussten sie sich über die Dollborde hängen, was allerdings selbst bei denjenigen mit schwerem Skorbut immer seltener vorkam, weil sie so wenig Nahrung und Wasser zu sich nahmen. Die Männer hatten zwar längst alle Reste von Schamgefühl verloren, doch oft spülte eine plötzliche eisige Welle über ihre nackte Haut und die heruntergelassene Hose, was nicht nur Flüche nach sich zog, sondern auch Furunkel und lange Nächte zitternden Elends.
    Am Morgen des 27. Juli 1848 erspähte der Ausguck auf Croziers Walboot – auf allen Booten wurde der kleinste Mann mit einem Sehrohr den kurzen Mast hinaufkommandiert – ein Gewirr von Fahrrinnen, die alle zu einem ungefähr drei Meilen entfernten vorspringenden Küstenpunkt führten.
    Achtzehn Stunden ruderten die Männer in den Booten. Wenn nötig stakten die Stärksten vorn im Bug zwischen eng zusammenrückenden Eisbänken und hackten mit Äxten das Eis weg.
    Kurz nach sechs Glasen der Abendwache landeten sie auf steinigem Geröll. Die Dunkelheit wurde nur manchmal von Mondstrahlen durchbrochen, die durch die dichte Wolkendecke

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