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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gekocht worden war, wurden die Fische roh verschlungen. Als Nächstes tauchten sie ins Meer und scharrten die Seepocken von den Wänden der drei Boote, um sie zu essen.
    Wie durch ein Wunder stießen sie auf die Henderson-Insel, einen der wenigen Landflecken in der grenzenlosen blauen Weite des Pazifischen Ozeans. Vier Tage lang fingen die zwanzig Männer Krebse und machten Jagd auf Möwen und ihre Eier. Aber Kapitän Pollard wusste, dass es auf der Insel nicht genügend Krebse, Möwen und Möweneier gab, um zwanzig Leute länger als einige Wochen am Leben zu erhalten. Schließlich beschlossen siebzehn von ihnen, erneut mit den Booten in See zu stechen. Am 27. Dezember 1820 nahmen sie von ihren drei Maaten Abschied.
    Am 28. Januar waren die drei Boote durch einen Sturm voneinander getrennt worden, und Kapitän Pollards Walboot segelte allein unter dem endlosen Himmel nach Osten. Die Tagesration bestand inzwischen aus eineinhalb Unzen Schiffszwieback für jeden der fünf Männer. Nicht zufällig entsprach dies genau dem verringerten Quantum, auf das sich Crozier vor einigen Tagen heimlich mit Goodsir und Des Voeux verständigt hatte für die Zeit, wenn das Salzfleisch aufgebraucht war. Er hatte ausgerechnet, dass seine Leute noch Zwieback für einen Monat hatten. Bis dahin hatten sie zwar vielleicht die Mündung von Backs Fluss erreicht, doch der Winter war nicht mehr fern, und sie waren immer noch gut achthundert Meilen von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt.
    Neun Wochen lang überlebten Pollards Männer – außer ihm noch sein Neffe Owen Coffin, ein befreiter Schwarzer namens Barzillai Ray und zwei Seeleute – mit dem Zwieback und einigen Schlucken Wasser. Sie waren noch über eintausendsechshundert Meilen vom Land entfernt, als der Zwieback ausging und das letzte Wasser verbraucht war.

    Da keiner an Bord den anderen den Gefallen tat, von selbst zu sterben, ließen Pollards Männer das Los entscheiden. Der junge Owen Coffin zog den kurzen Strohhalm. Dann losten sie erneut, um den Henker zu ermitteln. Diesmal zog Charles Ramsdell den kurzen Strohhalm.
    Crozier erinnerte sich noch gut an sein Entsetzen, als er diesen Teil der Geschichte zum ersten Mal gehört hatte. Damals hatte er auf dem Besanmast eines Kriegsschiffs weit vor der Küste Argentiniens gestanden, und der alte Seebär, der mit ihm Wache hielt, hatte die zitternde Stimme des jungen Owen nachgeahmt, der sich von seinen Maaten verabschiedete, ehe er den Kopf aufs Dollbord legte und die Augen schloss.
    Kapitän Pollard sagte später aus, dass er Ramsdell seine Pistole gereicht und sich abgewandt hatte.
    Ramsdell schoss dem Jungen in den Hinterkopf.
    Pollard und die anderen tranken das Blut des Jungen, solange es noch warm war. Es war zwar salzig, aber im Gegensatz zum Meer um sie herum trinkbar. Dann schnitten sie Fleischstücke ab und aßen sie roh. Zuletzt brachen sie Owens Knochen auseinander und saugten das Mark heraus, bis kein Tropfen mehr darin war.
    Coffins Leiche hielt sie dreizehn Tage lang am Leben, und als sie schon darüber nachdachten, wieder das Los entscheiden zu lassen, starb Barzillai Ray an Durst und Erschöpfung. So tranken sie sein Blut, schnitten Stücke aus ihm heraus und saugten seine Knochen leer, bis sie schließlich am 23. Februar 1821 von dem Walfänger Dauphin gerettet wurden.
    Francis Crozier hatte Kapitän Pollard nie kennengelernt, aber seinen weiteren Werdegang verfolgt. Der unglückselige Amerikaner hatte seinen Rang behalten und war noch ein einziges Mal zur See gefahren, um abermals Schiffbruch zu erleiden. Nach seiner zweiten Rettung wurde ihm nie wieder das Kommando über ein Schiff übertragen. Nur wenige Monate vor dem Aufbruch
von Sir Johns Expedition im Mai 1845 hatte Crozier gehört, dass Kapitän Pollard als Stadtwächter in Nantucket lebte und sowohl von den Einwohnern als auch von den Walfängern dort gemieden wurde. Angeblich führte der vorzeitig gealterte Pollard Gespräche mit sich selbst und seinem toten Neffen und hortete im Dachboden seines Hauses Zwieback und Salzfleisch.
    Crozier wusste, dass auch seine Leute schon in den nächsten Wochen, wenn nicht gar Tagen darüber entscheiden mussten, ob sie ihre Toten essen sollten.
    Der Zeitpunkt, ab dem sie zu wenige und diese wenigen zu schwach zum Ziehen der Boote sein würden, rückte immer näher. Auch bei der Rast auf der Eisscholle vom 18. bis zum 22. Juli hatten die Männer keine neuen Kräfte gesammelt. Der junge Leutnant Hodgson war zwar

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