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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Wie gewöhnlich schlangen meine Collegen ihm ein sauberes Tuch um den Kopf, um das Herabsinken des Kinns zu verhindern. Sodann sicherten sie mit weiteren Bändern aus weißer Baumwolle die Ellenbogen, Hände, Knöchel und großen Zehen, um die Gliedmaaßen zusammenzuhalten, während sie den armen Jungen wogen – der nur noch achtundachtzig Pfund schwer war – und für die Bestattung zurechtmachten. Eine Obduction wurde nicht ins Auge gefaßt, da außer Zweifel stand, daß Torrington an Schwindsucht im Vereine mit einer die Krankheit verschlimmernden Pneumonie gestorben
und somit eine Ansteckung weiterer Besatzungsmitglieder nicht zu besorgen war.
    Ich half meinen beiden Collegen von der HMS Terror , Torringtons Leichnam in den Sarg zu betten, welchen der tüchtige Schiffszimmermann Thomas Honey und sein Maat, ein Mann namens Wilson, in trefflicher Weise aus gediegenem Schiffsmahagoni angefertigt hatten. Der Rigor mortis war noch nicht eingetreten. Die Zimmerleute hatten den Boden des Sarges mit einer Schicht Sägespäne bestreut, welche nur unter Torringtons Kopf stärker genommen ward. Da der Verwesungsgeruch noch sehr schwach war, war die Luft vorzüglich erfüllt vom angenehmen Duft der Holzspäne.
     
     
    Den 3. Januar 1846
    Das gestrige Begräbniß John Torringtons will mir nicht mehr aus dem Sinn gehen.
    Nur eine kleine Schar von der HMS Erebus nahm daran Theil. Zusammen mit Sir John, Commander Fitzjames und etlichen Officieren legte ich zu Fuß den Weg von unserem Schiffe zu ihrem und sodann die fünfhundert Schritt bis zur Küste der Beechey-Insel zurück.
    Ich vermag mir keinen schlimmeren Winter vorzustellen, als den, welchen wir hier zu erdulden haben, festgefroren an unserem kleinen Ankerplatze im Lee des an der größeren Devon-Insel gelegenen Beechey-Eilands. Freilich haben mir Commander Fitzjames und andere zu verstehen gegeben, daß unsere Lage hier – trotz des heimtückischen, bedrohlichen Eises und der schrecklich heulenden Stürme – tausend Mal besser sey als draußen jenseits unseres Liegeplatzes, wo das Eis vom Pole herabströmt wie ein vom Gotte Boreas geschleuderter Granathagel.
    John Torringtons Kameraden ließen seinen, bereits mit einem feinen blauen Wolltuche bedeckten, Sarg sanft hinab über das Schanzkleid des Schiffes, welch letzteres von einer Eissäule in die Höhe geschoben worden, worauf andere Matrosen der Terror denselben auf einen großen Schlitten banden. Sir John persönlich breitete einen Union Jack über den Sarg, dann
legten sich Torringtons Freunde und Backsmaaten ins Zeug und zogen den Schlitten sechshundert Fuß weit bis zum eis- und geröllbedeckten Strand der Beechey-Insel.
    All dies geschah in nahezu vollkommener Finsterniß, denn selbst zu Mittag will die Sonne im Januar an diesem Orte ihr Gesicht nicht zeigen und hat selbiges seit nunmehr zwey Monathen nicht mehr gethan. Noch einen weiteren Monath und länger müssen wir uns in Geduld fassen, so höre ich, ehe der südliche Horizont unseren feurigen Stern wieder begrüßen darf. So war denn der gesammte Trauerzug – Sarg, Schlitten, Schlepper, Officiere, Ärzte, Sir John, Seesoldaten in voller Uniform, welche unter den gleichen grauen Plünnen verborgen war, wie auch die anderen sie trugen – nur von schwankendem Laternenlicht beschienen, als wir den Weg vom gefrorenen Meere zum gefrorenen Strand zurücklegten. Die Männer der Terror hatten mit Äxten und Schaufeln mehrere jüngst aus dem Eise erwachsene Hügelkämme nach Kräften ausgemerzt, die zwischen uns und dem Kiesstrand standen, so daß wir nur selten von unserem traurigen Pfade abweichen mußten. Schon zu Beginn des Winters hatte Sir John starke Pfähle in den Boden rammen lassen, welche mit Tauen verbunden waren und Lampen trugen, um die kürzeste Strecke zwischen den Schiffen und der Landenge zu markiren, auf welcher mehrere Gebäude errichtet wurden: eines zur Aufbewahrung einer großen Menge an Vorräthen, für den Fall, daß das Eis unsere Schiffe zerstören sollte; ein zweytes gleichermaaßen als Nothbaracke und Meßstation; und ein drittes für die Schmiede, welche dorthin versetzt wurde, damit die Flammen und Funken nicht unsere zundertrockenen hölzernen Heimstätten in Brand steckten.
    Wie ich inzwischen weiß, fürchten Matrosen nichts mehr als ein Feuer auf See. Indeß mußte diese Anlage aus Pfosten und Laternen wieder aufgegeben werden, weil sich das Eis unaufhörlich verschiebt, in die Höhe fährt und alles zerstreut und

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