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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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als Kadett beim Studium geometrischer und trigonometrischer Abbildungen betrachtet hat.
    Er schüttelt den Kopf. »Ich versteh dich nicht. Das ist doch alles nur Unsinn, verdammt!«
    Silence sieht ihn an. Nachdem sie das Fadenspiel in einem Fellbeutel verstaut hat, zieht sie ihm die Pelzdecken weg.
    Noch immer fehlt Crozier jede Kraft, um sich zu wehren, aber er hilft ihr auch nicht. Silence stemmt ihn hoch und streift ihm eine leichte Rentierjacke und einen dicken Pelzanorak über. Fast ein wenig bestürzt bemerkt Crozier, wie leicht die zwei Kleidungsstücke sind. Die vielen Baumwoll- und Wollschichten, die er in den vergangenen drei Jahren im Freien immer getragen hat, wogen schon dreißig Pfund, bevor sie schweißgetränkt und mit Eis überzogen waren. Diese Eskimogewänder hingegen sind bestimmt nicht schwerer als acht Pfund. Und er kann spüren, wie locker die Kleider den Oberkörper umhüllen und wie eng sie gleichzeitig an Hals und Handgelenken anliegen, um keine Wärme entweichen zu lassen.
    Verlegen bemüht sich Crozier, Silence zu helfen, als sie ihm eine leichte Rentierhose und hohe Rentierstrümpfe anzieht, doch meistens ist er mit seinen Fingern nur im Weg. Silence schiebt
seine Hände weg, und mit wenigen sparsamen Bewegungen, wie sie sonst nur Mütter und Krankenschwestern beherrschen, kleidet sie ihn fertig an.
    Crozier sieht zu, wie ihm Silence feste Socken über die Füße und Knöchel streift, die wahrscheinlich als Kälteschutz gedacht sind. Er wagt sich nicht einmal vorzustellen, wie lange sie oder eine andere Frau gebraucht hat, um diese hohen, engen Socken aus Gras zu weben. Die Pelzstiefel, die sie ihm anzieht, reichen über den Saum der Strümpfe hinauf und haben Sohlen aus besonders dickem Fell.
    In den ersten Stunden nach dem Erwachen im Zelt hat sich Crozier über die Fülle von Decken, Anoraks, Pelzen, Rentierfellen, Töpfen, Robbenöllampen aus Speckstein, Schneidemessern und anderen Geräten gewundert, doch dann fand er die naheliegende Antwort: Lady Silence hat das Gepäck der acht Eskimos geplündert, die von Leutnant Hodgsons Trupp getötet wurden. Die anderen Gegenstände – Konservenbüchsen, Löffel, Messer, Holz- und Elfenbeinstücke, sogar alte Fassdauben, die jetzt als Teil des Zeltgerüsts dienen – stammen wahrscheinlich von der Terror oder dem Terror -Lager.
    Als er ganz angekleidet ist, sinkt Crozier keuchend auf einen Ellbogen zurück. »Bringst du mich jetzt zu meinen Leuten?«
    Silence streift ihm Fäustlinge über die Hände und schiebt ihm die Kapuze mit der Pelzeinfassung über den Kopf. Dann packt sie das Bärenfell unter ihm mit festem Griff und zerrt ihn durch den Zelteingang hinaus ins Freie.
    Die kalte Luft fährt Crozier so heftig in die Lunge, dass er husten muss, doch schon bald merkt er, dass ihm ansonsten überhaupt nicht kalt ist. Er spürt, wie er innerhalb der geräumigen Grenzen dieser offensichtlich luftdichten Gewänder von seiner eigenen Körperwärme umspült wird. Silence ist damit beschäftigt, ihn auf einen Haufen gefalteter Pelze zu manövrieren. Wahrscheinlich will sie nicht, dass er auf dem Eis liegt, selbst wenn
noch das Bärenfell dazwischen ist. Auf jeden Fall ist es ein wohliges Gefühl, in dieser merkwürdigen Eskimokleidung dazusitzen.
    Wie zur Bestätigung seiner Vermutung nimmt sie das Bärenfell vom Eis und verstaut es zusammengelegt auf einem zweiten Stapel. In den letzten drei Jahren hatte Crozier immer kalte Füße, wenn er an Deck oder hinaus aufs Eis ging, und seit dem Verlassen der Terror waren sie ständig kalt und nass. Umso erstaunlicher findet er es, dass durch die dicken Fellsohlen und die Grassocken, die er jetzt trägt, weder Kälte noch Feuchtigkeit dringt.
    Während sich Silence daran macht, mit geübten Handgriffen das Zelt abzubauen, sieht sich Crozier gespannt um.
    Es ist Nacht. Warum hat sie mich mitten in der Nacht herausgeholt? Ist das ein Notfall? Das schnell zerlegte Rentierzelt befindet sich, wie er schon vermutet hat, auf dem Packeis zwischen Zinnen, Eisbergen und Pressrücken, auf denen sich das Licht der wenigen Sterne zwischen den tiefhängenden Wolken spiegelt. Als Crozier keine dreißig Schritt von seinem Platz das dunkle Wasser der Polynja erblickt, schlägt sein Herz schneller. Wir sind noch immer in der Gegend, in der uns Hickey aufgelauert hat. Das Rettungslager ist nur zwei Meilen entfernt, den Weg zurück kenne ich.
    Dann fällt ihm auf, dass diese Polynja viel kleiner ist als die, zu der

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