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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schützen.
    Überhaupt war Crozier erstaunt über die Wärme im Schneehaus. Die Temperatur lag bestimmt mindestens vierzig Grad höher als draußen, ja oft war es sogar so warm, dass sie nur ihre kurzen Hosen aus Rentierfell trugen. Rechts vom Eingang gab es eine Kochstelle auf einem Schneesims. An dem Gestell aus Geweih und Holz wurden nicht nur verschiedene Kochtöpfe über Robbenölflammen aufgehängt, sondern auch Kleider zum Trocknen. Sobald Crozier mit ihr hinauskriechen konnte, erklärte ihm Silence mit ihrer Fadensprache und Gesten, dass sie unbedingt ihre äußeren Gewänder trocknen mussten, wenn sie von draußen zurückkamen.
    Außer der Kochstelle rechts und einem Sitzplatz links vom Eingang gab es die breite Schlafstatt im hinteren Bereich des Schneehauses. Damit sie im Lauf der Zeit nicht abgetragen wurde, war sie mit dem wenigen Holz eingefasst, das Silence schon für das Zelt und den Schlitten benutzt hatte. Außerdem streute sie das letzte Moos aus ihrem Leinwandbeutel über das Lager und breitete sorgfältig die verschiedenen Rentier- und Bärenfelle darauf. Schließlich zeigte sie ihm, dass sie mit dem Kopf zum Eingang schlafen und die Kleider zu einem Kissen zusammenrollen sollten. Alle Kleider.
    In den ersten Tagen und Wochen hat Crozier darauf bestanden,
unter den Schlafdecken seine kurze Rentierhose anzubehalten, auch wenn Lady Silence stets nackt schlief, aber bald wurde es ihm unangenehm heiß. Obwohl er noch immer so geschwächt von seinen Wunden war, dass sich kein Gedanke an Leidenschaft in ihm regte, hat er sich doch bald daran gewöhnt, nackt unter die Schlafdecken zu kriechen und die Unterhose sowie seine anderen Kleider erst nach dem Aufstehen wieder anzuziehen.
    Wenn Crozier nachts unter den warmen Fellen aufwacht, versucht er sich an die Monate an Bord der Terror zu erinnern, in denen es immer nass und kalt war und es auf dem dunklen, eistropfenden Unterdeck nach Petroleum und Urin stank. Und in den Hollandzelten war es sogar noch schlimmer gewesen.
    Draußen vor dem Eishaus zieht sich Crozier die Pelzkapuze tief ins Gesicht, um sich vor der herandrängenden Kälte zu schützen. Er blickt sich um.
    Natürlich ist es dunkel. Crozier hat eine Weile gebraucht, um sich damit abzufinden, dass er nach den Schüssen eine halbe Ewigkeit bewusstlos war und erst allmählich wieder in die Welt zurückgekehrt ist. Am Anfang ihrer langen Schlittenreise nahm er nur einen kurzen Schimmer im Süden wahr, es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass inzwischen mindestens schon November ist. Seit dem Bau des Schneehauses hat sich Crozier bemüht, den Überblick über die Tage zu behalten, doch angesichts der ständigen Dunkelheit draußen und ihres merkwürdigen Schlafrhythmus drinnen ist er nicht sicher, wie viele Wochen tatsächlich vergangen sind. Er glaubt, dass sie manchmal zwölf Stunden und länger schlafen. Zudem müssen sie wegen der Schneestürme oft mehrere Tage und Nächte hintereinander im Schneehaus bleiben und sich von ihren eisgekühlten Fisch- und Robbenvorräten ernähren.
    Die Konstellationen an diesem klaren Tag sind winterlich, und die Luft ist so kalt, dass die Sterne am Himmel tanzen und zucken,
wie sie es in all den Jahren getan haben, in denen Crozier sie vom Deck der Terror aus beobachtet hat.
    Der einzige Unterschied ist, dass ihm nicht kalt ist. Und dass er keine Ahnung hat, wo er sich befindet.
    Crozier folgt Silence’ Spuren hinaus zum gefrorenen Strand und Meer. Eigentlich muss er sich nicht an ihre Spuren halten, weil er längst weiß, dass der schneebedeckte Strand ungefähr fünfzig Faden nördlich des Schneehauses liegt und dass sie immer dorthin geht, um Robben zu jagen. Aber auch das sagt ihm nichts über seinen derzeitigen Standort.
    Vom Rettungslager und den anderen Lagern seiner Mannschaft an der Südküste von King-William-Land aus befand sich die zugefrorene Meeresstraße immer in südlicher Richtung. Er und Silence könnten jetzt jenseits dieser Meeresstraße auf der Adelaide-Halbinsel sein oder noch immer auf King-William-Land, aber irgendwo an der Ost- oder Nordostküste, die noch kein Weißer erblickt hat.
    Crozier hat keinerlei Erinnerung daran, wie ihn Silence nach den Schüssen zu ihrem Zelt gebracht hat. Vielleicht hat sie das Zelt sogar mehrmals abgebaut und an einem anderen Ort wieder aufgeschlagen, ehe er in die Welt der Lebenden zurückkehrte. Und auch davon, wie lange die Reise auf dem Fischkufenschlitten gedauert hat, ist ihm nur eine sehr

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