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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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einen kleinen Spirituskocher anzünden, um in einem Topf ein wenig Schnee zu schmelzen. Dieser war jedoch nicht zum Trinken bestimmt – dafür hatten sie Flaschen dabei, die sie unter den Oberkleidern trugen, damit das Wasser nicht fror –, sondern um warmes Wasser über die Holzkufen zu schütten und sie auf diese Weise aus den tiefen Spuren zu lösen, die sie in den Eisschnee gegraben hatten.
    Zudem bewegte sich der Schlitten auch nicht so über das Eis, wie Goodsir es von den Rodeln aus seiner Kindheit kannte. Schon vor zwei Jahren hatte er bei seinen ersten Ausflügen aufs Packeis festgestellt, dass man auch in normalen Stiefeln nicht einfach Anlauf nehmen und dann übers Eis rutschen konnte wie zu Hause auf einem zugefrorenen Fluss oder See. Irgendeine Eigenschaft des Meereises – der hohe Salzgehalt höchstwahrscheinlich  – erhöhte die Reibung und machte ein ruhiges Gleiten fast unmöglich. Eine leise Enttäuschung für einen Mann, der gern ein wenig dahingerutscht wäre wie ein Junge, und ein deutlich
höherer Kraftaufwand für eine Schar Männer, die einige Hundert Pfund Ausrüstung auf einem ebenfalls mehrere Hundert Pfund schweren Schlitten über solches Eis zu zerren und zu schieben hatten.
    Es war, als würde man eine tausend Pfund schwere, unhandliche Last aus Holz und Gütern über rauen Fels schleppen. Und die Pressrücken zu überwinden war in etwa so einfach, als wollte man über drei Stockwerke hohe Haufen aus Steinbrocken und Geröll steigen.
    Dieser erste wirklich ernsthafte Pressrücken nun war bestimmt sechzig Fuß hoch. Und er war nur einer von vielen, die sich auf ihrem Weg nach Südosten hinzogen, so weit das Auge reichte.
    Sie machten sich daran, die oberen Schichten der Lebensmittel, der Kisten mit Holzgeistflaschen, der Wolfsfelldecken und Schlafsäcke sowie das schwere Zelt abzuladen, damit die Last leichter wurde. Schließlich hatten sie die Hälfte der Last zu fünfzig bis hundert Pfund schweren Packen und Kisten gebündelt, die sie den steilen, zerklüfteten Hang hinaufwuchten mussten, ehe sie auch nur einen Versuch unternehmen konnten, den Schlitten zu bewegen.
    Wie Goodsir bald klar wurde, war es vor allem ein Umstand, der das Besteigen der Eiskolosse zu einer derart niederschmetternden Anstrengung machte: Die Kämme erhoben sich nicht einfach aus flachem Meereis. Die gefrorene See war nirgends glatt, sondern türmte sich im Umkreis von zwei- bis dreihundert Fuß um einen Pressrücken zu einem bizarren Labyrinth aus Schneeharsch, umgestürzten Eiszinnen und riesigen Blöcken – ein Labyrinth, durch das man sich erst einen Weg bahnen musste, ehe man das eigentliche Hindernis erreichte.
    Das Klettern selbst ging nie geradlinig vonstatten. Es war immer ein quälendes Hin und Her, ein ständiges Suchen nach festem Stand auf tückischem Eis, nach Halt für die Hand an einem
Zacken, der jeden Augenblick wegbrechen konnte. So kamen die acht Männer nur in lächerlich flachen Serpentinen voran, reichten die Lasten von einem zum anderen, hackten mit ihren Pickeln Stufen und Simse aus dem Eis und waren dabei immer auf der Hut, damit sie nicht stürzten oder von einem gestürzten Kameraden mitgerissen wurden. Bündel glitten aus vereisten Fäustlingen, polterten nach unten und lösten bei den fünf Seeleuten kurze, aber dafür umso eindrucksvollere Schimpfkanonaden aus, bevor Gore oder Des Voeux sie brüllend zum Schweigen brachte. Alles musste zehnmal ausgepackt und wieder eingepackt werden.
    Schließlich ging es daran, auch den schweren Schlitten mit dem Rest der Last nach oben zu ziehen, zu schieben, zu heben, zu stützen, aus Eisritzen herauszulösen, schräg zu stellen, abermals anzuschieben und zum Gipfel hinaufzuzerren. Und dort oben gab es für die Männer keine Rast, denn hätten sie sich nur eine Minute nicht bewegt, wären acht Schichten schweißgetränkte Wolle eingefroren.
    Nachdem sie die senkrechten Pfosten und Querstreben am hinteren Ende des Schlittens mit neuen Leinen vertäut hatten, gingen mehrere Männer voran, um ihn auf dem Weg nach unten abzustützen. Gewöhnlich fiel diese Aufgabe dem großen Seesoldaten Pilkington sowie Morfin und Ferrier zu. Die anderen verankerten sich mit ihren genagelten Stiefeln im Eis. Dann wurde der Schlitten in einer rhythmischen Abfolge von Ächzern, Hauruck- und Wahrschaurufen sowie erneuten Flüchen nach unten gehoben.
    Dort mussten sie den Schlitten wieder sorgfältig beladen, die Haltegurte überprüfen und Schnee zum Auftauen

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