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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Augenverband von den Wangen und den Schläfen blätterte, war eine einzige weiße Ebene. Am äußersten Punkt ihrer Odyssee nach Westen, vielleicht achtundzwanzig Meilen von den Schiffen entfernt, hatte Little dem Mann, der sein Augenlicht am besten bewahrt hatte, einem Bootsmannsmaat namens Johnson, befohlen, den höchsten Eisberg in der Nähe zu erklimmen. Johnson hatte mehrere Stunden gebraucht, um mit der Spitzhacke schmale Stufen aus dem Eis zu schlagen und sich auf den Nägeln, die der Proviantmeister eigens durch die Ledersohlen seiner Stiefel getrieben hatte, einen Weg nach oben zu bahnen. Am Gipfel angelangt, hatte der Seemann mit Leutnant Littles Sehrohr nach Nordwesten, Westen, Südwesten und Süden ausgespäht.
    Sein Bericht war entmutigend. Kein offenes Wasser. Kein Land. Bis an den äußersten weißen Horizont nichts als ein zerklüftetes Meer aus frostigen Zinnen, Hügeln und Kämmen. Einige wenige Eisbären, von denen sie später zwei erlegten, um frisches Fleisch zu bekommen. Die Männer waren vom Ziehen des schweren Schlittens über die vielen Hindernisse so mit den Kräften am Ende, dass sie nicht nur die für Menschen ungenießbaren Innereien wie Herz und Leber liegen ließen, sondern letztlich bloß hundert Pfund von dem festen, stark riechenden Fleisch herausschnitten und in Segeltuch verpackten, um es zum Schiff zu transportieren. Anschließend zogen sie dem massigeren Bären das Fell ab und ließen die Überreste einfach auf dem Eis liegen.

    Vier der fünf Aufklärungstrupps waren mit schlechten Nachrichten und erfrorenen Zehen wiedergekommen, und nun fieberte Sir John Graham Gores Rückkehr entgegen. Ihre letzte, ihre größte Hoffnung ruhte schon seit langem auf King-William-Land.
    Endlich riefen am 3. Juni, zehn Tage nach Gores Aufbruch, die Ausgucksposten von hoch oben aus den Masten herab, dass sich aus Südosten ein Schlittentrupp näherte. Nachdem Sir John seine Tasse Tee ausgetrunken und sich angemessen gekleidet hatte, begab er sich an Deck zu den aufgeregt herumwuselnden Männern, die hinausgestürmt waren, um etwas zu sehen.
    Die kleine Schar war nun bereits vom Deck aus zu erkennen, und als Sir John sein wunderschönes Messingfernrohr ans Auge hob – ein Geschenk von den Offizieren und der Mannschaft der Fregatte Rainbow , die Franklin vor über fünfzehn Jahren im Mittelmeer befehligt hatte –, erkannte er schnell den Grund für die hörbare Beunruhigung der Männer oben in den Mastkörben.
    Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung. Fünf Männer zogen den Schlitten, genau wie bei Gores Aufbruch. Daneben und dahinter bewegten sich drei weitere Gestalten, genau wie vor zehn Tagen. Alle acht waren also zurückgekehrt.
    Und doch …
    Eine der marschierenden Gestalten hatte nicht das Aussehen eines Menschen. Über das unübersichtliche Feld von Eiszacken und -brocken hinweg, das sich aus der einst ruhigen See gebildet hatte, wirkte es aus einer Entfernung von über einer Meile, als würde ein kleines, rundes Pelztier ohne Kopf neben dem Schlitten herlaufen.
    Schlimmer noch, Sir John konnte nirgends Graham Gores unverwechselbare hohe Gestalt mit dem flotten roten Schal ausmachen. Alle anderen, ob sie nun zogen oder mitgingen – und der Leutnant hätte sicher nicht gezogen, solange seine Untergebenen
noch bei Kräften waren –, nahmen sich zu klein, zu gebeugt, zu wenig vornehm aus .
    Und am schlimmsten war … der Schlitten schien viel zu schwer beladen für die Rückreise. Sie hatten Büchsenproviant für eine Woche mitgenommen, aber sie waren schon drei Tage über der Zeit. Kurz flackerte in Sir John die Hoffnung auf, dass die Männer vielleicht ein Rentier oder ein anderes großes Landwild erlegt, dass sie frisches Fleisch mitgebracht hatten, doch dann traten die Gestalten hinter dem letzten hohen, gut eine halbe Meile entfernten Pressrücken hervor, und Sir Johns Sehrohr offenbarte ihm einen furchtbaren Anblick.
    Auf dem Schlitten lagen nicht etwa Rentiere, sondern zwei Menschen, die über der Ausrüstung festgebunden und achtlos aufeinandergestapelt worden waren, wie es nur mit Toten geschah. Schon konnte Sir John deutlich zwei lose baumelnde Köpfe erkennen, jeweils einen an entgegengesetzten Enden des Schlittens. Der Kopf, der zu dem oberen Körper gehörte, zeigte langes weißes Haar, wie es kein Mann an Bord der beiden Schiffe besaß.
    Über die Seite der krängenden Erebus wurden Leinen gespannt, um dem beleibten Kapitän den Abstieg über die steile Eisrampe

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