Terror
Best. »Der Größere ist in diese Richtung davongelaufen, als John geschossen hat. Wir dachten, dass er gestürzt ist, aber dann sind wir ein Stück raus aufs Eis und haben keinen toten Bären gesehen. Er ist verschwunden.«
Dem Schlittentrupp waren diese weichen Stellen im Eis bereits unterwegs aufgefallen: nicht ganz rund, ungefähr vier Fuß im Durchmesser, zu groß für die winzigen Atemöffnungen der Ringelrobben, eigentlich zu klein und zu weit auseinanderliegend für Polarbären und immer mit einer mehrere Zoll starken, brüchigen Schicht Eis bedeckt. Zuerst hatten diese Löcher ihre Hoffnungen auf offenes Wasser genährt, aber letztlich waren sie
so selten anzutreffen, dass sie einfach nur gefährlich waren. Robert Ferrier, der sich am späten Nachmittag vor den Schlitten gespannt hatte, war mit dem linken Bein bis zum Knie in ein solches Loch eingebrochen, und alle hatten anhalten müssen, damit sich der schlotternde Seemann andere Stiefel, Wollsachen, Socken und Hosen anziehen konnte.
»Es ist sowieso Zeit, dass Ferrier und Pilkington die Wache übernehmen«, bemerkte Leutnant Gore. »Bobby, hol die Büchse aus dem Zelt.«
»Mit der Flinte treff ich besser, Sir«, entgegnete Ferrier.
»Ich kann mit der Büchse umgehen, Leutnant Gore«, sagte der große Seesoldat.
»Gut, dann nimmst du die Büchse, Pilkington. Wenn man mit Schrotkörnern auf diese Biester ballert, werden sie nur wütend.«
»Jawohl, Sir.«
Best und Morfin, deren Zittern offensichtlich mehr mit der zweistündigen Wache zu tun hatte als mit dem ausgestandenen Schreck, streiften sich schläfrig das Schuhwerk ab und krochen in ihre wartenden Schlafsäcke. Der Gefreite Pilkington und Ferrier zwängten ihre geschwollenen Füße in die Stiefel, die sie aus ihrem Schlaflager hervorkramten, und schlurften zum nächsten Eiskamm, um dort Posten zu stehen.
Schlimmer frierend als zuvor, wickelte sich Goodsir, dessen Nase und Wangen sich inzwischen genauso taub anfühlten wie seine Finger und Zehen, fest in seine Decken und flehte den Schlaf herbei.
Vergeblich. Gute zwei Stunden später riss Des Voeux’ Stimme die Ruhenden in freundlichem, aber bestimmtem Ton aus ihren Träumen. »Wir haben einen langen Tag vor uns, Maaten.«
Sie waren immer noch mehr als zweiundzwanzig Meilen von der Küste von King-William-Land entfernt.
11
Crozier
70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
9. NOVEMBER 1847
D u bist ja ganz durchfroren, Francis«, bemerkt Commander Fitzjames. »Komm nach achtern in die Messe, da gibt es Weinbrand.«
Whiskey wäre Crozier lieber, aber in der Not muss auch Weinbrand reichen. Er tritt vor dem Kapitän der Erebus in den langen, engen Kajütgang und steuert auf Sir John Franklins ehemalige Privatgemächer zu, die jetzt das Gegenstück zur Großen Messe auf der Terror bilden: Bibliothek und Aufenthaltsraum für Offiziere außerhalb der Dienstzeit und bei Bedarf auch Besprechungszimmer. Nach Croziers Meinung spricht es sehr für Fitzjames, dass der Commander nach Sir Johns Tod seine winzige Kajüte behalten hat und die geräumige Kammer achtern zur Offiziersmesse umgestalten ließ, die manchmal auch als Operationslazarett dient.
Auf dem Kajütgang ist es vollkommen dunkel bis auf einen schwachen Schimmer aus der Messe. Das Schiff krängt noch stärker als die Terror und genau in die entgegengesetzten Richtungen: nach backbord und nach achtern. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Schiffe fast baugleich sind, fallen Crozier noch andere Unterschiede auf. So riecht die HMS Erebus zum Beispiel
irgendwie anders – zu dem vertrauten Gestank nach Lampenöl, schmutzigen Seeleuten, dreckigen Plünnen, einer nie gelüfteten Kombüse, Kohlenstaub, Urinkübeln und Seemannsatem in der kalten, klammen Luft kommt noch ein weiteres Ingrediens: Aus irgendeinem Grund riecht es auf der Erebus stärker nach Angst und Hoffnungslosigkeit als auf der Terror .
Leutnant Le Vesconte und Leutnant Fairholme sitzen pfeiferauchend in der Messe, doch beide erheben sich sofort, begrüßen die Kapitäne mit einem Nicken und ziehen hinter sich die Schiebetür zu.
Fitzjames schließt einen wuchtigen Schrank auf und holt eine Flasche Weinbrand heraus, aus der er für Crozier ein reichliches Quantum in eins von Sir Johns kristallenen Wassergläsern schenkt; er selbst begnügt sich mit einer kleineren Menge. Unter dem vielen Porzellan- und Kristallgeschirr, die der verstorbene Expeditionsleiter zu seinem eigenen und zum Gebrauch
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