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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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lässt und Korn zum Ernten, und Palmen, hochragend, mit dicht besetzten Fruchtscheiden, den Menschen zum Unterhalt. Und wir haben damit abgestorbenes Land belebt. So vollzieht sich auch die Auferstehung.
    Abgestorbenes Land. Das ist dieses Land.
    So einfach und unbestreitbar wie die erste Schöpfung wird auch die zweite sein. Ist uns denn etwa die erste Schöpfung zu viel geworden? Aber nein! Und doch sind sie im Unklaren über eine neue Schöpfung?
    Wir haben doch den Menschen geschaffen. Und wir wissen, was seine Seele ihm zuflüstert, und sind ihm näher als die Halsschlagader.
    Dieser Vers hat für Ahmed stets eine besondere, persönliche Bedeutung besessen; er schließt den Koran, dessen weicher Ledereinband im ungleichmäßigen Rot der gemaserten Blütenblätter einer Rose gefärbt ist, und er weiß sicher, dass Allah in diesem kleinen, fremden Raum anwesend ist, ihn liebt, das Geflüster seiner Seele, ihren unhörbaren Aufruhr vernimmt. Ahmed fühlt seine Halsschlagader pochen und hört den Verkehr von New Prospect, bald murmelnd, bald röhrend (Motorräder, zerfressene Auspuffrohre), ein paar Straßenzüge entfernt um den großen, zentralen Schuttsee kreisen, und hört ihn versiegen, nachdem es von der Rathausuhr her elf geläutet hat. Im Warten auf die Klänge zur nächsten Viertelstunde schläft er ein, obwohl er darauf gefasst war, die ganze Nacht wach zu bleiben, getragen vom reinen, bebenden Erschaudern vor seiner erhabenen, selbstlosen Seligkeit.
    Montagmorgen. Plötzlich fällt der Schlaf von ihm ab. Wieder hat er das Gefühl, noch den Nachhall eines lauten Rufs zu vernehmen. Ein geballter Schmerz im Magen verwundert ihn, bis ihm Sekunden später einfällt, welcher Tag dies ist, welche Mission er hat. Noch ist er am Leben. Heute ist der Tag einer weiten Reise.
    Er befragt seine Uhr, die er sorgsam neben den Koran auf den Tisch gelegt hat. Es ist zwanzig vor sieben. Der Verkehr ist bereits hörbar, ein Verkehr, in dessen nichts ahnenden Strom er sich einreihen, den er unterbrechen wird. Der gesamte Osten wird, so Gott will, gelähmt sein. Er duscht hinter einem eingerissenen Plastikvorhang. Erst wartet er darauf, dass das Wasser warm wird, als das jedoch nicht geschieht, zwingt er sich unter das kalte Getröpfel. Er rasiert sich, obwohl er weiß, dass ein Disput darüber herrscht, wie Gott Männer von Angesicht zu Angesicht erblicken möchte. Den Chehabs war es lieber, dass er sich rasiert, denn bärtige Muslime, selbst Teenager, erschrecken die ungläubigen heidnischen Kunden. Mohammed Atta hatte sich rasiert, und die meisten der achtzehn weiteren erleuchteten Märtyrer ebenfalls. Der Jahrestag ihres Triumphs war am vergangenen Samstag, und der Feind wird nun in seinen Verteidigungsmaßnahmen nachgelassen haben, wie die Leute des Elefanten vor dem Ansturm der Vögel. Ahmed hat seinen Sportsack mitgebracht, und daraus nimmt er saubere Unterwäsche und Socken und sein letztes weißes Hemd, frisch aus der Wäscherei und um ein paar Pappversteifungen gefaltet.
    Er richtet den stilisierten mihrab im abstrakten Muster des Gebetsteppichs dorthin aus, wo, weit jenseits der ablenkenden Topographie von New Prospect, die heilige schwarze Kaaba von Mekka liegt. Als er mit der Stirn das Gewebe berührt, nimmt er den gleichen schwachen, menschlichen Geruch wahr, der auch der blauen Decke anhaftet. Ahmed hat sich in eine Prozession von Männern eingereiht, die sich, zu welchem verborgenen Zweck auch immer, vor ihm in diesem Raum hier aufgehalten, unter kaltem, rostigem Wasser geduscht und zu den Klängen der Rathausuhr ihre Zigaretten geraucht haben. Er isst, wiewohl sein angespannter Magen jeden Appetit aufgezehrt hat, sechs Stückchen von der Orange, die Hälfte des Joghurts und einen beachtlichen Teil des Abbas-Brots, obwohl ihm dessen süßlicher Geschmack nach Honig und Anis nicht eben köstlich vorkommt zu dieser Stunde, in der seine gewaltige Tat so bedrängend nahe rückt und in seiner Kehle aufquillt wie Schlachtgeschrei. Er legt den ungegessenen Teil des klebrigen Festtagsbrots auf dem größten Stück der Hemdenpappe in den Kühlschrank, auch den Joghurtbecher und die halbe Orange, wie um diese Dinge für den nächsten Bewohner bereitzustellen, ohne Ameisen und Kakerlaken anzulocken. Sein Verstand funktioniert wie durch Nebelschwaden hindurch, eine dem großen Ereignis vorausgehende Empfindung, die in der mekkanischen Sure mit dem Titel «Die Polternde» beschrieben wird:
    Am Tag, da die Menschen wie

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