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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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todsichere Wette auf die nächste Welt Dinge, die fernen, finsteren Zeiten angehören. Diejenigen, die an solch einer Wette noch immer festhalten, haben einen Vorteil: Sie sind erpicht darauf zu sterben. Und du wirst sicher finden, heißt es in einem weiteren Vers, der im Internet-Rauschen immer wieder zu vernehmen ist, über die Ungläubigen, dass sie mehr als die anderen Menschen am Leben hängen.
    «Sie werden mich dafür verprügeln», vertraut der Minister trübsinnig seiner so genannten Unterstaatssekretärin an. «Wenn nichts passiert, bin ich ein Bangemacher. Wenn doch, dann bin ich ein fauler Blutegel, der zugelassen hat, dass Tausende ums Leben kamen.»
    «Niemand würde so etwas sagen», versichert ihm Hermione, und ihr altjüngferlich fahles Gesicht errötet vor Mitgefühl. «Jeder, selbst die Demokraten, weiß, dass Sie einen unmöglichen Job haben, der aber dennoch getan werden muss, um unseres Überlebens als Nation willen.»
    «Damit wäre das Wichtigste wohl gesagt», gibt er zu; verschmitzt zieht er die Lippen ein, sodass sein Mund noch kleiner wirkt. Reibungslos trägt der Aufzug sie, zusammen mit zwei bewaffneten Leibwächtern (einer männlich, einer weiblich) und einem Trio von Assistenten in grauen Anzügen zur Souterrainebene des Weißen Hauses. Draußen im Sonnenschein – einer Melange aus Virginia- und Maryland- Strahlen – läuten Kirchenglocken, Laut sinnt der Minister vor sich hin. «Diese Leute dort draußen … Warum wollen sie nur so entsetzliche Dinge tun? Warum hassen sie uns? Was gibt es da nur zu hassen?»
    «Sie hassen das Licht», erklärt ihm Hermione loyal. «Wie Kakerlaken. Wie Fledermäuse. Und das Licht leuchtet in der Finsternis», zitiert sie, wohlwissend, dass sein Herz für pennsylvanische Frömmigkeit zugänglich ist, «und die Finsternis hat es nicht erfasst. »

II
    Die rußfleckige Eisensteinkirche neben dem See von Schutt ist voll von pastellfarbenen Baumwollkleidern und schulterbetonten Polyesteranzügen. Ahmeds überreizte Augen finden keine Linderung in den bunten Fenstern, auf denen Männer in skurrilen, orientalisch gemeinten Trachten Szenen aus dem kurzen, ruhmlosen Leben des vorgeblichen Herm der Christen nachstellen. Einen Gott zu verehren, der bekanntermaßen gestorben ist – schon diese Idee mutet Ahmed an wie ein unerklärlicher Gestank, der von einem verstopften Rohr oder einem toten Tier in der Wand herrühren mag. Und doch sonnen sich die Gemeindemitglieder – von denen einige sogar hellhäutiger sind als er selbst in seinem gestärkten weißen Hemd – im frisch geschrubbten Glück ihrer sonntagmorgendlichen Zusammenkunft. Die vielen Bankreihen, in denen Menschen beiderlei Geschlechts gemischt nebeneinander sitzen, und der bühnenartige, unübersichtliche Bereich vorn mit seinem gedrechselten, fest eingebauten Mobiliar und dem hohen, schmutzigen dreiflügeligen Fenster mit der Darstellung einer Taube, die auf dem Haupt eines langbärtigen Mannes landet, das aufgekratzte Begrüßungsgemurmel und das Knarzen des hölzernen Kirchengestühls unter schweren Hinterteilen, die ihr Gewicht verlagern, all dies gemahnt Ahmed eher an einen Kinosaal vor Beginn der Vorstellung als an eine heilige Moschee mit ihren dicken, dämpfenden Teppichen, dem leeren, gekachelten mihrab und den fließenden L ā -il ā ha-ill ā Allah-Gesängen aus den Mündern von Männern, die nach ihrer Freitagsplackerei riechen und die ihre rhythmischen Verneigungen gemeinsam und so eng aneinandergekauert vollziehen, dass sie den Segmenten einer Raupe gleichen. Die Moschee ist ein Reich der Männer; hier in der Kirche dominieren in ihrem Frühlingsglanz und mit ihren weichen, ausladenden Körpern die Frauen.
    Er hatte gehofft, dass er hinten in die Kirche schlüpfen könne, wenn er genau beim 10.00-Uhr-Läuten käme, wird jedoch nachdrücklich begrüßt von einem rundlichen Sklaven-Nachfahren im pfirsichfarbenen Anzug mit breitem Revers, auf dessen einem ein kleiner Maiglöckchenstrauß prangt. Der Schwarze händigt Ahmed ein gefaltetes farbiges Blatt aus und geleitet ihn den Mittelgang hinauf zu den Bankreihen ganz vorn. Die Kirche ist fast voll besetzt, und nur die vordersten, anscheinend weniger begehrten Reihen sind leer. Gewohnt an Andächtige, die auf dem Boden kauern und knien, wodurch sie betonen, wie hoch über ihnen Gott steht, kommt sich Ahmed selbst im Sitzen schwindelerregend, ja ketzerisch groß vor. Die christliche Sitte, träge aufrecht dazusitzen wie bei einer

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