Terrorist
UnterhaltungsVeranstaltung, deutet darauf hin, dass Gott als Unterhaltungskünstler gilt, der von der Bühne entfernt und durch eine andere Nummer ersetzt werden kann, wenn er nicht mehr unterhält.
Ahmed nimmt an, er werde die Kirchenbank für sich allein haben, zum Trost dafür, dass er sich hier so fremd und unbehaglich fühlt, doch ein anderer Platzanweiser geleitet über den langen Teppich des Mittelgangs eine große schwarze Familie, in der kleine Mädchenköpfe mit kunstvollen, schleifchengeschmückten Flechtfrisuren auf und nieder hopsen. Ahmed wird ans äußere Ende der Bank gedrängt, und um sich für die Vertreibung zu entschuldigen, streckt der Patriarch des Clans den Arm über die Schöße mehrerer kleiner Töchter hinweg und reicht Ahmed seine breite braune Hand mit einem willkommen heißenden Lächeln, in dem ein Goldzahn funkelt. Die Mutter der Sippe sitzt zu weit entfernt, um den Fremden zu erreichen, schließt sich ihrem Gatten jedoch mit einem Winken und einem Nicken an. Die kleinen Mädchen schauen auf und bieten ihre Augen als weiße Halbmonde dar. All diese heidnische Freundlichkeit – Ahmed weiß weder, wie er sie abwehren soll, noch, welche weiteren Übergriffe ihm während der Zeremonie bevorstehen. Schon jetzt hasst er Joryleen dafür, dass sie ihn in eine so klebrige Falle gelockt hat. Wie um nicht angesteckt zu werden, hält er den Atem an und starrt geradeaus, wo die sonderbaren Schnitzereien an dem, was er für die christliche Entsprechung des minbar hält, sich allmählich als geflügelte Engel herausstellen; den einen, der ein langes Blasinstrument spielt, identifiziert Ahmed als Gabriel, und die Massenszene somit als ebenjenes Jüngste Gericht, das Mohammed zu seinen ekstatischsten poetischen Höhenflügen bewegt hat. Welch ein Irrweg, denkt Ahmed, das unnachahmliche Werk des Schöpfergottes, Al-Khaliq, in Holz abbilden zu wollen, das schon durch seine Maserung die Täuschung zur Schau stellt. Einzig die Bildlichkeit des Wortes ergreift, wie der Prophet wusste, die Seele in ihrem spirituellen Kern. Gesetzt den Fall, die Menschen und die Dschinn tun sich zusammen, um etwas beizubringen, was diesem Koran gleich ist, so werden sie das nicht können. Auch nicht, wenn sie sich gegenseitig dabei hülfen.
Endlich beginnt die Zeremonie. Erwartungsvolle Stille tritt ein, und dann setzt machtvoll ein pulsierendes Tosen ein, dessen spielzeugartiges Timbre Ahmed von Schulversammlungen her als das einer elektrischen Orgel erkennt, eines armen Verwandten der richtigen Orgel, deren Pfeifen wie er sieht, hinter dem christlichen minbar verstauben. Alle erheben sich, um zu singen. Als wäre Ahmed an die anderen gekettet, wird er auf die Füße gezogen. Eine blau gewandete Schar, ein Chor, flutet den Mittelgang hinauf und füllt die Fläche hinter einem niedrigen Gitter, über das die Gemeinde sich anscheinend nicht hinauswagt. In dem gesungenen, vom Rhythmus und dem schleppenden Akzent dieser afrikanischen zanj verzerrten Text geht es, soweit Ahmed ihn versteht, um einen Berg in weiter Ferne und um ein altes Bitternis bringendes Kreuz. Aus seiner entschlossenen Stummheit erspäht er Joryleen in dem Chor, den überwiegend Frauen bilden, wuchtige Frauen, neben denen Joryleen mädchenhaft jung und relativ schmal wirkt. Sie ihrerseits entdeckt Ahmed auf seiner Bank ganz vorne in der Kirche; ihr Lächeln enttäuscht ihn, denn es ist zaghaft, flüchtig, nervös. Auch sie weiß, dass er nicht hier sein sollte.
Hoch, hinunter – alle in seiner Reihe außer ihm und dem kleinsten Mädchen knien nieder und setzen sich dann wieder. Eine Gruppe rezitiert etwas, die andere antwortet darauf – Ahmed kann dem nicht folgen, obwohl der Vater mit dem Goldzahn ihm vorn im Gesangbuch die Seite zeigt. Wir glauben dieses und jenes, dem Herm sei Dank für dies und das. Dann folgt ein langes Gebet des christlichen Imam, eines kaffeefärbenen Mannes mit schmalem Gesicht, randloser Brille und einem blanken, länglichen Kahlkopf. Seine heisere Stimme wird elektrisch verstärkt, sodass sie nicht nur von vorn, sondern auch von der Rückwand der Kirche her dröhnt. Während sich der Prediger, die Augen hinter den Brillengläsern fest geschlossen, tiefer in das Dunkel versenkt, das vor seinem geistigen Auge herrscht, werden hier und da in der Gemeinde zustimmende Rufe laut: «Wie wahr!» – «Sagen Sie’s laut, Reverend!» – «Gelobt sei der Herr!» Gleich einem Schweißfilm auf der Haut bildet sich als Grundton ein
Weitere Kostenlose Bücher