Tesarenland (German Edition)
über die Lippen. Luca kommentiert das mit einem Schmunzeln. Nachdem ich mir den gestrigen Schmutz vom Körper gewaschen und unsere behelfsmäßige Toilette aus einem Eimer besucht habe, setze ich mich wieder zu den beiden. Luca hält mir eine Tasse Schokolade hin, von der dünne Rauchschwaden aufsteigen. Ich blase hinein und nippe vorsichtig daran.
»Gut, nicht wahr ?«, will Kayla wissen. »Hast du schon jemals so was unglaublich Tolles getrunken?«
»Ja, gestern«, antworte ich mit einem schelmischen Grinsen. »Wie geht es dir ?«
»Och, mach dir doch nicht immer Sorgen um mich .« Kayla stößt Luca in die Seite. »Hab ich es dir nicht gesagt? Sie ist wie Mutter.« Da ist es, dieses kleine Zeichen, auf das ich gewartet habe. Für einen Wimpernschlag blitzt es in Kaylas Augen auf, der gleiche Respekt, den sie Mutter immer entgegengebracht hat. Als ich die Liebe sehe, die in ihrem Gesicht aufflackert, weiß ich, meine Entscheidung die Kolonie zu verlassen war richtig.
»Ihr geht es gut«, beantwortet Luca meine Frage. »Noch etwas wacklig auf den Beinen, aber bis morgen sollte sie soweit wiederhergestellt sein .«
Danke Mutter, denke ich. Vielleicht hatte sie doch nur eine winzige Erkältung, nichts, was mit der Spritze zu tun hat.
»Wusstest du, dass Lucas Onkel Leonardo Chef der Rebellen ist? Luca hat es mir erzählt. Er wollte uns dort hinbringen, aber er sagt, wir müssen vorläufig mit einer anderen Gruppe vorlieb nehmen.« Kayla ist ganz aufgeregt. Sie nippt an ihrer Tasse, rutscht auf ihrer Decke herum und wirft Luca immer wieder bewundernde Blicke zu.
Ich freue mich, dass es ihr besser geht. Ich hatte solche Angst um sie. Für ein paar Stunden war ich fast sicher, sie würde es nicht schaffen. Und jetzt ist sie so munter wie sie es war, bevor wir Mutter verloren haben.
»Er hat gesagt, er wird dafür sorgen, dass wir diese verdammten Chips losbekommen.«
Ich verschlucke mich an meiner Schokolade, als ich höre, wie Kayla »verdammte Chips« sagt. Das kann sie nur von Luca gehört haben. Es klingt süß aus ihrem Mund, aber ich werfe Luca trotzdem einen warnenden Blick zu. Der grinst nur und widmet sich wieder seinem Messer.
»Was hatte das gestern zu bedeuten«, frage ich Luca. Er scheint nicht mehr so schockiert wie gestern zu sein, deswegen wage ich einen Vorstoß, um zu verstehen, was da im Keller des alten Mannes passiert ist.
»Das war der Code für: Etwas wurde in den Bunker geschleust , und dieses Etwas, hat alle krankgemacht.« In Lucas Augen sehe ich, da ist noch mehr, aber ich möchte nicht weiter stochern. Wenn Luca Kayla verspricht, dass wir seinen Onkel kennenlernen, dann geht er davon aus, dass da nichts Schlimmes vor sich geht. Und wenn er bereit wäre, mir mehr zu erzählen, dann würde er das tun. Vielleicht hat der alte Mann recht und alle haben nur einen Magen-Darm-Infekt, glauben mag ich nicht so recht daran.
Kayla malt mit den Sachen, die ich ihr aus dem Polizeiauto mitgebracht habe. Sie wirkt hoch konzentriert. Ihre kleine Zunge ragt ein Stück zwischen den Lippen hervor. Ich bin froh, dass es ihr besser geht. Dann können wir morgen endlich diese von Tesaren bevölkerte Stadt verlassen.
Mit dem Zeigefinger fahre ich über das glatte, geschmeidige Material der Tasse in meiner Hand. Nachdenklich betrachte ich das blassblaue Blumenmuster. Der Rand der Tasse ist an einer Stelle abgeplatzt, und sie hat einen Riss, der von oben bis zum Boden führt.
»Was glaubst du? Warum haben sie uns noch immer nicht zurückgeholt oder getötet? Sie hätten uns schon längst gefunden haben müssen .«
Luca zieht die vollen Augenbrauen über der Stirn zusammen. Er hat schöne, geschwungene Augenbrauen . Sie bilden den Blickfang in seinem Gesicht. Wenn ich etwas Ungeschicktes getan habe, etwas Böses gesagt habe, dann zieht er die rechte weit nach oben und schaut mich verwundert an. Jetzt schaut er ernst, dabei wandern seine Brauen nur ein winziges Stück auf seine Nasenwurzel zu. Auf seiner Stirn entstehen zwei kleine Falten.
»Das habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht sind wir ihnen nicht wichtig genug. Wir sind Kinder, was sollten wir anstellen? Sie gehen davon aus, dass wir außerhalb der Lager nicht überleben können.«
Das klingt logisch, aber irgendwie zweifle ich daran. Andererseits hatte das Lager auch keinen Energiezaun, was für Lucas Theorie sprechen würde. Aber dem stehen wiederum die plötzliche Aufmerksamkeit, die neue Kleidung und das regelmäßige Essen entgegen.
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