Tessa

Badezimmerspiegel und schaut in ihr verheultes Gesicht. Langsam dreht sie den Wasserhahn zu. Sie muss sich am Beckenrand festkrallen, weil ihr plötzlich schwarz vor Augen wird.
    Sie geht zurück ins Schlafzimmer, das sie verlassen vorfindet. Die Bettdecke ist aufgewühlt und wirkt einladend. Sie fühlt sich erschöpft, geht auf das Bett zu, kuschelt sich unter die Bettdecke und atmet den warmen, vertrauten Geruch von Nick ein.

»Ich wollte nur eine Sekunde meine Augen ausruhen, dabei bin ich eingeschlafen. Aufgewacht bin ich, als ich kopfüber in der Luft hing. Es ist unglaublich, aber das Erste, was ich mache, ist, mich umschauen, ob irgendjemand meinen katastrophalen Stunt beobachtet hat.« Tessa greift nach ihrem Glas, und trinkt den letzten Schluck Wein. »Vielleicht sollte ich nicht betrunken Fahrrad fahren.«
    Lautes Gelächter in der Runde, das sich mit dem Klappern der Teller vermischt, die von gelangweilt aussehenden Kellnern abgedeckt werden. Der hintere Teil des Restaurants ist für Charlottes Geburtstagsgäste reserviert, die lange, weiß gedeckte Tafel ist mit goldenen Glitzersternchen übersät. Vor Tessa steht noch ein Kübel mit einer angefangenen Flasche Weißwein, nach der sie schnell greift, um sich erneut randvoll nachzugießen und den gut gekühlten Wein hastig ihre Kehle runterlaufen zu lassen.
    Charlotte, die während des Essens am anderen Ende der Tafel gesessen hat, kommt mit einem Champagnerglas auf sie zu. Sie trägt ein nude­farbe­nes langes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt, in dem der Ansatz ihrer kleinen Brüste einladend zu sehen ist. Dicht hinter ihr läuft Peter, und als sie neben Tessa auf die Bank rutscht, quetscht auch er sich noch dazu, sodass Tessa unwillig ein Stück zur Seite rücken muss. Klirrend stößt Charlotte ihr Glas gegen Tessas, wobei sie laut lacht. Tessa reagiert nicht, stattdessen beugt sie sich nach vorne, um Peter einen abwertenden Blick zuzuwerfen, der schnell seinen Kopf abwen­det und verlegen in sein Glas starrt.
    Charlotte zieht sie wieder zurück zu sich und lehnt sich dicht an ihr Ohr. »Was ist passiert?«
    »Peter nervt.«
    Wieder lacht Charlotte hell auf, und der versonnene Gesichtsausdruck verrät, dass sie schon leicht angetrunken ist. »Nein, was ist gestern Nacht passiert, nachdem ich gegangen bin?«
    »Ich musste deinen Drink austrinken.«
    Charlotte kichert. »Und dann?«
    »Ich hatte einen Fahrradunfall auf dem Nachhauseweg.«
    Charlotte kneift in Tessas Oberarm. »Ich meine, was ist wirklich passiert?«
    Tessa zieht Charlottes Hand von ihrem Arm. »Es sieht schlimmer aus, als es ist.« Sie nimmt ihr Glas: »Entschuldige bitte?«
    Das Lächeln verschwindet aus Charlottes Gesicht, sie sieht verletzt aus, doch Tessa ignoriert sie und zwängt sich dicht an ihr vorbei. Vor Peter bleibt sie einen ­Moment stehen, um verächtlich an ihm runterzuschauen.
    Rasch steht er auf, um sie durchzulassen, dicht stehen sie sich gegenüber, er sieht sie entschuldigend an, seine langen blonden Ponyspitzen stechen in sein rechtes Auge. »Was habe ich getan?«, fragt er leise.
    »Gar nichts. Da liegt das Problem.«
    Sie sieht sich nach Nick um, den sie jedoch nicht entdecken kann. Er ist nicht zum Essen mitgekommen, nicht weil er nicht eingeladen war, sondern weil er noch etwas Wichtigeres, Dringenderes zu tun hatte, doch Tessa kann sich im Moment nicht mehr an den Grund erinnern. Der Wein lastet angenehm auf ihren Gedanken und hält sie im Zaum. Sie kramt nach ihrem Handy, um sich seine letzte Nachricht wiederholt durchzulesen. Bin in fünf Minuten da. Das hatte er bereits vor über einer halben Stunde geschrieben. Ihre Füße fangen in den hohen Schuhen an zu schmerzen. Ein einzelner Tisch für zwei Personen steht im Durchgang zum vorderen Bereich des Restaurants, an dem Tanner sitzt und verstohlen Peter beobachtet. Der Anblick ist deprimierend, dennoch setzt sich Tessa zu ihr, weil sie den Eingang so besser im Auge behalten kann, und als Tanner kurz aufschaut, ist sie nicht sonderlich überrascht, dass sie sie nur unfreundlich ansieht. Tanner war früher auch Tessas Freundin gewesen, aber das war vor der Geschichte mit Peter. Jetzt hat Tanner auch noch ein Kind mit ihm, und Peter wird man nicht mehr los.
    Während Tessa den Eingang beobachtet, überlegt sie kurz, etwas Nettes zu Tanner zu sagen oder sich nach ihrem Kind zu erkundigen, als sie erleichtert entdeckt, wie Nick das Restaurant mit einem Unbekannten betritt. Er sieht sie auch sofort und winkt ihr