Tessa
jetzt doch auch wieder, also mein Freund, oder?«
»Das kann ich nicht sagen.«
Sie schweigt.
»Sie haben keinen Selbstmordversuch unternommen?«
Sie lacht auf. »Nein, ich habe es Ihnen doch erklärt. Ich wollte ihn nur ärgern.«
»Ich muss das mit meinem Kollegen besprechen.«
Sie ist kurz verwirrt. »Ihr Kollege?«
»Er spricht mit Ihrem Freund.« Der Sanitäter stockt kurz. »Dem besorgten Anrufer.«
»Ich verstehe. Könnten Sie dann bitte auch meinen Freund zu mir schicken?«
Nick macht sich Sorgen, also liebt er sie. Alles ist gut. Der Sanitäter verlässt den Raum. Es dauert eine Weile, in der sie alleine ist, und sie fängt wieder an zu zweifeln. Nick betritt den Raum. Er sieht hilflos aus, und sie kriegt ein wenig Angst, aber sie setzt ihr Lächeln auf, das macht sie stärker. Er setzt sich tonlos zu ihr aufs Bett, sieht sie kaum an. Sie greift nach seiner Hand, er lässt sie gewähren, aber seine Hand ist schlaff, und sie spürt, dass sie ihn endgültig verloren hat. Sie seufzt. Atmet tief durch. Sie muss das in den Griff kriegen, ohne in der Psychiatrie zu landen. Vielleicht checken sie dort, was alles nicht richtig mit ihr ist. Aber die kriegen sie nicht. Lieber ohne Nick als dort. Sie nimmt sich zusammen und spricht mit ruhiger Stimme. »Hilf mir jetzt, aus deiner Wohnung rauszukommen. Ich verspreche dir auch, dass ich dich dann in Ruhe lasse.«
»Du brauchst Hilfe.«
»Aber du kannst sie mir nicht geben.«
»Es gibt professionelle Hilfe.«
»Der Idiot da draußen?«
»Man kann dir helfen, lass dir helfen.«
»Nein.« Sie sieht ihn entschieden an. »Ich komme klar. Ich werde nicht mit denen gehen, bitte überzeuge sie, dass es sich nur um einen Beziehungsstreit gehandelt hat.«
»Aber …«
»Nick, es gibt hier kein Aber. Es geht nur darum, dass ich nicht eingesperrt werde.«
»Die werden dich nicht einsperren.«
»Ach, nein?« Sie lacht bitter auf. »Sie bringen mich in eine nette Klinik, mit normalen Patienten, und alle halten den ganzen Tag Händchen und singen sich liebe Lieder vor? Bitte, Nick, ich mache keine Dummheiten mehr. Hilf mir. Geh zu den Idioten und überzeuge sie, dass jetzt alles gut ist, und ich verspreche dir, dass ich mich anziehe und nach Hause gehe. Ich habe einiges zu tun, ja? Bitte.«
»Was hast du denn zu tun?«, fragt er argwöhnisch.
»Mein Leben auf die Reihe kriegen?« Eigentlich will sie nicht, dass es wie eine Frage klingt, doch Nick gibt sich zufrieden, geht aus dem Schlafzimmer und lässt sie alleine. Sie schließt die Augen und hofft, nur irgendwie aus dieser beschissenen Situation herauszukommen.
Tessa ist schon fast wieder eingeschlafen, als sie durch das Öffnen der Schlafzimmertür aufgeschreckt wird. Der Geruch von fettigem Haar trifft ihre Nase, noch bevor der Sanitäter den Raum betreten hat. Er drückt ihr einen Zettel in die Hand.
»Melden Sie sich damit bitte morgen in der psychiatrischen Abteilung der Charité. Weitere Behandlungsmöglichkeiten können Sie dort besprechen.«
Sie versucht zu lächeln, schafft es aber nur, müde ihre Mundwinkel hochzuziehen. Sie verabschiedet sich scheu. Als das Schloss in der Tür klickt, steht sie erschöpft auf, sucht ihre Sachen zusammen und versucht Nick zu ignorieren, der im Flur zusammengekauert auf dem Boden hockt. Erst als sie fertig angezogen und bereit ist zu verschwinden, geht sie zu ihm. »Alles ist gut. Bestimmt. Ich werde morgen in die Charité gehen. Ich werde mir helfen lassen. Versprochen.«
Er nickt mit versteinertem Gesicht, er scheint es nicht zu glauben. Vielleicht ist es ihm auch scheißegal. Wahrscheinlich denkt er, dass er das alles nicht verdient hat.
Sie fühlt sich unwohl und von den Menschen beobachtet, als sie in Richtung U-Bahn läuft. Den Blick hebt sie nicht vom Bürgersteig. Sie versucht gerade zu laufen, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich doch dabei klein zu machen, damit sie nicht wahrgenommen wird. Sie schwankt. Und friert in ihrem Kleid. Der Sommer ist vorbei. Um in der Sonne zu laufen, wechselt sie die Straßenseite. Sie schaltet ihr Handy ein. Muss kurz warten und läuft langsamer. Eine Nachricht von Charlotte. Dass sie sich melden soll. Die Nachricht ist eine Nacht her und somit eine halbe Ewigkeit. Es piepst wieder, und sie sieht nach, von wem die zweite SMS ist. Sie kennt die Nummer nicht.
»Ich habe eine Kette in meinem Wagen gefunden. Ist es Deine? Jochen.«
Ihr Herz fängt an zu schlagen. Sie bleibt stehen. Kramt in ihrer Tasche nach ihrer
Weitere Kostenlose Bücher