Tessa
noch Drogen hat. Sie läuft die Toiletten ab, aber nur eine scheint besetzt, sie bückt sich in der Hoffnung, Unmengen von Beinpaaren zu entdecken, da öffnet sich die Tür, und die blonde junge Frau aus dem Restaurant tritt heraus. Tessa richtet sich schnell wieder auf. »Isabell«, flüstert Tessa verächtlich.
Die junge Frau sieht sie fragend an. Tessa starrt zurück. Schnell dreht sich die Blonde weg, geht zum Waschbecken und wäscht sich die Hände. Tessa läuft an ihr vorbei, und im Spiegel begegnen sich noch einmal kurz ihre Blicke. Tessa setzt ihren Weg fort, zurück an die Bar. Der Typ steht mit seinen beiden Cocktails in der Hand so verloren da, dass sie es nicht über sich bringt, wieder zurückzugehen. Sie dreht sich um und verlässt den Laden. Vor der Tür stehen Taxis, sie steigt ein. Will eigentlich endlich nach Hause fahren, doch sie fürchtet sich vor ihrer leeren Wohnung, kurzerhand nennt sie dem Taxifahrer die Adresse ihres Dealers.
Uwe öffnet die Tür und scheint betrunken zu sein, freut sich aber sichtlich, sie wiederzusehen. Er greift nach ihrer Brust, und sie lacht, obwohl sie diese Angewohnheit von ihm nicht leiden kann. Eigentlich ist Uwe lustig, wenn er nicht zu betrunken ist, aber er ist eigentlich immer betrunken. Sie geht zu ihm ins Wohnzimmer und legt sich auf die Couch. Michael Jacksons Stimme klingt in angenehmer Lautstärke. Uwe bietet ihr einen Rotwein an, den sie dankend annimmt. Sie streift ihre Schuhe ab und nimmt sich eine Decke. Das Zimmer ist in rotes Licht getaucht – in der Ecke steht eine Lampe, über die Uwe ein rotes Tuch geworfen hat. Uwe ist ständig damit beschäftigt, es sich schön zu machen. Sie ist ein wenig neidisch, da ihr die Energie für solche Sachen fehlt. Vielleicht braucht sie auch zu Hause etwas Kokain. Sie schließt die Augen und könnte sofort einschlafen, die Wohnung von Uwe hat etwas mütterlich Beruhigendes. Uwe kommt mit einem schönen großen Rotweinglas zurück, doch beim ersten Schluck wird ihr übel. Er fragt, ob sie was zum Ziehen mag. Sie nickt, greift nach ihrer Handtasche und wühlt nach Geld. Zerknitterte Scheine fallen ihr entgegen. Sie zieht sie glatt und reicht ihm fünfzig Euro. Er nimmt sie, begutachtet die Scheine, zuppelt sich an seiner Jogginghose. Er setzt sich langsam in Bewegung, geht zu seinem Schrank. Er kratzt sich am Bart. Uwes Alter ist schwer zu schätzen, manchmal sieht er noch jung aus. Sein blondes Haar ist nicht ergraut, doch sein Gesicht durchziehen tiefe Furchen. Wenn er betrunken ist, bewegt er sich wie eine achtzigjährige Oma. Uwe öffnet in Zeitlupentempo seinen Wandschrank, holt eine kleine digitale Waage heraus und geht zum Tisch, auf dem der Koksberg aufgehäuft ist. Das weiße Pulver schaufelt er mit einem medizinisch aussehenden Holzspatel in ein kleines Plastiktütchen. Tessa quält sich den zweiten Schluck runter. Der Wein nimmt einfach zu viel Raum in ihrem Mund ein. Es klingelt an der Tür.
Sie lacht laut, steht nackt auf dem Tisch, hat nur noch ihre roten High Heels an. Sie dreht sich tanzend, ist glücklich, leicht und unbeschwert. Uwe und ein weiterer Mann stehen vor dem Tisch und klatschen laut. Sie genießt den Moment, hat aufgehört zu denken, es gibt kein Morgen, es gibt kein Gestern. Es gibt nur das Hier und Jetzt. Billy Jean dringt aus den Boxen, und bei jeder Drehung spürt Tessa das Leben. Ein glückliches Lachen umspielt auch Uwes Mund.
Augen öffnen. Sie starrt an die fremde Zimmerdecke. Wachsein. Ihre Nase ist verstopft. Die Härchen an ihrem Körper sind aufgerichtet, und ihre Haut juckt. In ihrem Kopf ein dumpfer Schmerz. Die bunte Bettwäsche, mit der sie zugedeckt ist, kennt sie nicht. Ein feuchter Film auf ihrer Haut. Sie liegt allein in dem großen Bett. Uwes Bett, denkt sie niedergeschlagen und zieht die Decke wieder über den Kopf. Unter der Decke ist sie nackt, bis auf die Verbände an ihren Handgelenken. Sie schließt die Augen wieder. Alles läuft falsch. Sie muss mit dem Trinken aufhören. Wieder öffnet sie die Augen. Sie strampelt die Decke weg und lehnt sich über den Bettrand, hofft, dort ihr Kleid zu entdecken, aber nur ihre Schuhe und ihre Tasche stehen dort ordentlich aufgereiht. Sie legt sich zurück in die Kissen und überlegt, wie sie hier rauskommt, ohne sich bewegen zu müssen. Sie bückt sich nach ihrer Tasche und kramt nach dem Handy. In ihren Kontakten sucht sie nach einer rettenden Nummer, als ihr die SMS von Frieder wieder einfällt. Zögernd wählt sie
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