Tessa
Kette, ahnt, dass sie sie nicht finden wird. Sie will antworten. Mag ihn wiedersehen. Sie betrachtet ihre verbundenen Unterarme. Aber was bringt es denn? Soll er doch die scheiß Kette behalten, sie hat schon lange keinen Schmuck mehr getragen. Sie steckt das Handy in die Innenseite ihrer Tasche, und da fällt ihr Frieders Geld wieder ein. Das Leben ist plötzlich nicht mehr grau. Sie macht sich auf die Suche nach einem Taxi. Wenigstens muss sie nicht die Menschen in der U-Bahn ertragen.
Das kalte Glas Weißwein, nasse Tropfen bildend. Schön. Die Karte liegt ausgebreitet vor ihr. Sie kann sich nicht entscheiden, weiß nicht einmal, ob sie etwas runterkriegt, aber sie muss etwas essen, damit ihr Magen sich beruhigt. Erst einmal den Wein genießen. Der leicht metallische Geschmack, etwas fruchtig, der sich in ihrem Rachen ausbreitet. Das Geklapper von Gabeln neben ihr. Sie sitzt bei Aldo an einem Tisch mit Bekannten, die sie nur flüchtig aus dem Nachtleben kennt, die sie aber so herzlich und freundlich begrüßt haben, dass sie sich, ohne lange zu überlegen, dazugesetzt hat. Doch jetzt merkt sie, dass es ein Fehler war, weil sie nicht mitreden kann und ihr bewusst wird, wie fremd ihr diese Menschen sind. Ein Pärchen setzt sich an den Nebentisch. Beide sehen gut aus. Das Mädchen hat blonde Haare, und Tessas schlechte Laune vergrößert sich, sie ist neidisch auf die Reinheit, die sie ausstrahlt. Der Freund setzt sich ihr gegenüber, auch er sieht aus, als käme er direkt vom Friseur. Sein gestärktes weißes Hemd verschmilzt mit der weißen Wand hinter ihm. Tessa riecht plötzlich den unangenehmen Geruch ihres Kleides. Sie greift nach ihrer Handtasche, kramt nach ihrem Lippenstift und dem Handspiegel und malt sich ihre Lippen knallrot an. Als sie die Sachen zurück in die Tasche wirft, spürt sie den Blick des Mädchens auf sich. Sie hebt das Kinn ein wenig an und starrt herausfordernd zurück. Und plötzlich glaubt sie, das Mädchen wiederzuerkennen, mit dem Nick sie betrogen hat. Vielleicht ist das Isabell. Oder wer weiß wie viele andere Mädchen Nick noch gevögelt hat. Das Mädchen sieht schnell weg und wendet sich ihrem Freund zu, beugt sich über den Tisch und tuschelt leise. Der Freund dreht sich zu Tessa und blickt sie misstrauisch an. Der Kellner taucht hinter ihm auf. Sie winkt ihn zu sich und bestellt das nächste Glas Wein. Als sie wieder zum Nachbartisch blickt, ist er leer.
Später sitzt Tessa an einer Bar in der Nähe des Restaurants, und der Mann neben ihr, mit dem sie sich beim Essen unterhalten hat, nervt. Aber er hat sie zu einem Drink eingeladen. Manche Männer kann man sich einfach nicht interessant trinken. Die Musik ist laut, jazzig. Das Licht angenehm warm. Der Typ labert auf sie ein, aber sie hat keine Lust zuzuhören. »Du langweilst mich.«
Der Typ verstummt und starrt sie erschrocken an. »Was hast du gesagt?«
»Du langweilst mich«, antwortet sie gleichgültig. Sie dreht sich zurück zu ihrem Drink, sucht mit den Lippen den Strohhalm und schlürft den letzten Tropfen.
»Soll ich dir noch einen Drink bestellen?«
Sie atmet genervt tief ein und laut wieder aus. Nickt nur schwach. Sie dreht eine halbe Runde mit ihrem Barstuhl, Widerstand, das scheint das Bein des Mannes zu sein. Sie drückt fester. Der Typ weicht zur Seite. Sie kriegt schlagartig etwas bessere Laune und schaut sich in der Bar nach einem interessanteren Gesprächspartner um. Hinter sich kann sie seinen verzweifelten Versuch der Bestellung hören, sie schämt sich für ihn und fühlt sich nüchterner werden. Scheiße. Sie dreht sich wieder zurück zu ihm, sieht, wie er nun mit einer Serviette die Aufmerksamkeit des Barmanns sucht, der ihn aber offensichtlich ignoriert und konzentriert ein Glas poliert. Sie schaut sich den Mann genauer an, er ist nicht hässlich, aber irgendetwas fehlt, vielleicht hat er es in seinem früheren Leben zu leicht gehabt. Diese Zeiten scheinen nun in der Großstadt vorbei. Er erwidert ihren Blick und lächelt. Sie zwinkert ihm müde zu, steht auf. Langt nach ihrer Tasche. Sie schwankt ein wenig. Er greift nach ihrem Arm und stützt sie.
»Ich komm gleich wieder«, beruhigt sie ihn.
Und während sie ihm fest in die Augen sieht, lockert er seinen Griff, und langsam findet sie ihr Gleichgewicht wieder. Ihr Gang ist wackelig, sie muss vorsichtig sein. Das Sitzen hat sie geschwächt. Sie geht in Richtung Toiletten und hofft, dort jemanden zu entdecken, den sie kennt und der am besten auch
Weitere Kostenlose Bücher