Tessy 02: Tessy und die Lust des Mörders
Mutter würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ihr die Kalorien ihrer üppigen Nachtmahlzeit mit vor Entsetzen geschwängerter Stimme vorrechnen. Tessy lächelte. Ein Grund mehr, es sich wenigstens beim Essen gut gehen zu lassen.
Beim zweiten Stück Kuchen fuhr sie ihren Rechner hoch und surfte eine Weile gelangweilt durchs Netz. Die Idee sprang sie an, als sie auf der Seite ihres ehemaligen Arbeitgebers landete und sich die Mitarbeiter der einzelnen Ressorts des Tagesanzeigers genauer ansah. Der zuständige Nachtredakteur war immer noch Jannick Deuter. Ein freundlicher, bequemer und durch kaum etwas aus der Ruhe zu bringender Kollege im Innendienst. Einer, der den Mund halten konnte und sich durchaus was traute, wenn es nicht allzu viel Aufwand kostete und er keine Verantwortung übernehmen musste.
Tessy schenkte sich frischen Kaffee ein und griff zum Telefon.
„Jannick, altes Haus, was läuft so bei dir?“, fragte sie in munterem Plauderton – so, als hätten sie erst kürzlich zusammengesessen –, als der Redakteur sich gemeldet hatte.
„Ich bin es, Tessy“, schob sie hinterher, nachdem es einen auffallend langen Moment still geblieben war.
„Tessy? Tessy Ritter?“ Verblüffung quoll durch die Leitung.
„Na, welche Tessy kennst du denn sonst noch?“
Er lachte kurz auf. „Meine Güte – lange nichts von dir gehört, also von dir persönlich. Stimmt es, dass du inzwischen als private Ermittlerin unterwegs bist?“
„Das stimmt. Aufregender Job.“
Jannick seufzte. „Eben. Nichts für mich. Ich brauch’s ruhig und gemütlich, wenn du dich erinnerst.“
„Tu ich. Tu ich sogar gerne.“
Erneutes Schweigen. „Tessy, du rufst mich doch nicht mitten in der Nacht an, um unsere Bekanntschaft aus alten Zeiten beim Anzeiger hochleben zu lassen, oder?“, hob Jannick schließlich an.
„Nö, aber ich erinnere mich gerne an dich.“
„Danke für die Blumen. Und nun sag schon: Was willst du?“
Tessy lachte. „Du musst mir einen Gefallen tun und auch noch die Klappe halten.“
„Muss ich?“ Das klang brummig.
„Der Aufwand ist denkbar gering.“
„Schon besser“, kommentierte Jannick freundlicher. „Erzähl – worum geht es?“
„Ich muss einen Informanten schützen“, erklärte Tessy ein wenig großspurig, aber sie schätzte, dass sie den Zeitungsmann mit dieser Erklärung motivieren konnte, seine Bedenken über Bord zu werfen und ihr zu helfen. Zumindest war die Chance größer, denn Informantenschutz galt in Journalistenkreisen nach wie vor als hohes Gut.
„Hm“, gab Jannick von sich. „Und weiter?“
„Er hat handfeste Hinweise für ein Kapitalverbrechen.“
„Dann sollte er sich an die Behörden wenden“, meinte Jannick in lapidarem Tonfall.
„Danke für den Tipp, aber die Idee findet er nicht ganz so toll“, entgegnete Tessy ungerührt. „Sein Leben dürfte keinen einzigen Pfifferling mehr wert sein, wenn sein Mitwirken herauskommt. Und das gilt auch für den Fall, dass die Typen, um die es hier geht, überführt werden können und hinter Gitter wandern.“
„Wow, die ganz schweren Jungs also – die mit den weitreichenden Verbindungen.“ Jannicks Stimme klang nun unmissverständlich gelangweilt und ironisch.
„Ich meine es ernst.“
„Wie ernst? Kannst du ein bisschen deutlicher werden?“
„Die Tote aus dem Papenfuhlbecken. Die Meldung war gestern in der Zeitung.“
Jannick schwieg. Ob er beeindruckt war, würde sich zeigen.
„Mein Informant weiß, was passiert ist.“
Tessy hörte, dass der Redakteur scharf einatmete. „Wie sicher ist das?“
„Ganz sicher. Ich habe die Beweise selbst gesehen.“
„Ach? Und nun?“
„Wir können sie nicht verwenden, solange es eine Spur zu ihm gibt.“
„Und warum gibt es eine Spur zu ihm?“, hakte Jannick nach.
„Das ist eine andere Geschichte, die an dieser Stelle zu weit führt und nicht wichtig ist“, wich Tessy aus und hoffte, dass er sich mit dieser Antwort zufrieden geben würde.
„Na schön, und was hast du vor?“
„Er muss aus der Schusslinie“, erklärte sie eifrig, als sie spürte, dass sie Jannicks Interesse geweckt hatte. „Und zwar ziemlich schnell. Dann können wir die Beweismittel der Polizei übergeben, und ich sag dir: Es sind hässliche Beweismittel.“
„Das habe ich jetzt verstanden. Was ist mein Job bei der ganzen
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