Tessy und die Hörigkeit der Malerin - 1
Kerstin leise und setzte sich.
Wie oft haben wir hier schon zusammen gesessen, über Männer und Frauen gelästert, meine Affären durchgehechelt, gelacht oder Probleme gewälzt, fuhr es Tessy durch den Kopf, während sie an ihrem Kaffee nippte. Nun war Patrick tot, und der Schock war so groß, dass Kerstin das einzig Richtige tat: Sie versuchte, weiter zu funktionieren und irgendwie die Zeit zu ertragen. Und Kerstin hatte, abgesehen von Tessys Unterstützung, nicht allzu viel Hilfe. Ihre Eltern führten ein Hotel an der Ostsee und waren nicht von einem Tag auf den anderen abkömmlich. Soweit Tessy es mitbekommen hatte, wollte Kerstins Mutter versuchen, in ein, zwei Tagen nach Berlin zu kommen. Und die Schwiegereltern mussten erst mal selbst mit dem Schock zurechtkommen. Patrick war der einzige Sohn gewesen.
Hanters junge Kollegin Sabrina Kellner ergriff plötzlich das Wort, um sich vorstellen. Sie lächelte, als säße sie in einer Talkshow und würde gleich ihre neue CD in die Kamera halten. Sie war blauäugig und honigblond und hatte einen lupenreinen Teint. Tessy spürte giftige Antipathie hochsteigen. Wie albern. Hanter rührte seinen Kaffee um und sah dann Kerstin an.
„Danke für Ihre Bereitschaft zu diesem Gespräch“, sagte er zu Kerstin. „Ich weiß, dass es schwer ist, in einer solchen Situation auch noch persönliche Fragen zu beantworten. Doch je eher wir die Fakten zusammengetragen haben, desto schneller können wir uns ein Bild machen.“
Seine fast sanft klingende Stimme und die behutsame Art, in die Befragung einzuführen, gefielen Tessy. So hatte sie ihn bisher noch nicht erlebt, was kaum verwundern durfte. Er sah stets die Journalistin in ihr – also eher eine Konkurrentin im Wettstreit um Informationen, bestenfalls eine Art Kollegin aus einer berufsverwandten Sparte, der man, eine Hand wäscht die andere, auch mal auf die Sprünge helfen konnte – und gab sich häufig kurz angebunden oder sogar unwirsch. Und natürlich hatte sie normalerweise bei polizeilichen Ermittlungsgesprächen nichts verloren.
Kerstin nickte. „Das sehe ich ganz ähnlich.“ Sie schlug ein Bein über das andere und legte die Hände in den Schoß.
„Wir haben inzwischen einige Ermittlungsergebnisse vorliegen“, fuhr Dirk fort. „Über die wollen wir mit Ihnen reden.“ Er zog ein Notizheft hervor. „Ihr Mann hatte Schlaftabletten genommen. Welches Medikament in welcher Dosierung erfahren wir frühestens morgen, wahrscheinlich sogar erst am Montag. Können Sie uns dazu etwas sagen?“
Tessy hielt kurz den Atem an. Die Information war neu für Kerstin. Bislang hatte es noch keine Gelegenheit gegeben, die Freundin über ihr morgendliches Telefonat mit Dirk zu informieren.
Kerstin sah ihn einen Moment stumm an und warf Tessy einen Seitenblick zu. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Das muss ein Irrtum sein“, sagte sie mit fester Stimme. „Unmöglich. Patrick nimmt … nahm höchstens mal eine Kopfschmerztablette und Schlaftabletten noch nie. Seitdem er Alkoholprobleme hatte, ist er noch vorsichtiger gewesen, auch wenn das jetzt schon eine ganze Weile zurück liegt. Er ist … war völlig trocken.“ Sie schluckte. „Tessy kann das bestätigen – alle können das bestätigen.“
„Ja, ich weiß“, gab Hanter freundlich zurück. „Die Leute, mit denen wir bislang darüber gesprochen haben, erklären das mit großem Nachdruck, dennoch: Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass die Menge erheblich war, wie eine erste gerichtsmedizinische Untersuchung inzwischen ergab, und nun drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass Ihr Mann seinem Leben ein Ende setzen wollte.“
Kerstin riss die Augen auf. „Wie bitte?“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „So ein Blödsinn! Warum sollte er das tun?“ Ihre Stimme bebte plötzlich vor Zorn und Empörung.
Tessy wollte ihr beruhigend auf die Schulter klopfen, aber Kerstin schüttelte ihre Hand ab, während Miss Honigblond Sabrina Kellner dankenswerterweise ihr tumbes Lächeln abrupt einstellte. Nur Dirk zuckte mit keiner Wimper. „Das ist eine gute Frage.“
„Quatsch! Er wollte sich nicht umbringen – es gab keinen Grund! Patrick war bester Dinge. Er hatte einen neuen Job, und wir beide haben uns wieder so gut verstanden, dass wir einen Neubeginn planten …“
„Ja, ich weiß, Frau Riemer. Dennoch spricht einiges dafür …“
„Was heißt einiges?“ Kerstins Stimme schraubte sich noch weiter in die Höhe, und einen Augenblick lang befürchtete
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