Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars
der gemeinsamen privaten Zukunftspläne für absolut unwahrscheinlich. Oder aber sie hat ihren Mann nicht gut genug gekannt und gar nicht mitbekommen, was ihn insbesondere in den letzten Monaten beschäftigt hat. Frau Riemer wünscht sich Klarheit.“
Wildorn lehnte sich zurück und faltete die Hände vor sich auf der Tischplatte. Kräftige, gepflegte Hände. Wieder ein Blick zur Uhr.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, sagte sie schließlich. „Da ich in Kürze eine wichtige Besprechung zu leiten habe, muss ich Sie bitten, jetzt zu gehen. Aber wir könnten uns gegen halb zwölf im Coffeeshop zwei Häuser weiter treffen. Dort nehme ich häufig einen kleinen Mittagsimbiss oder genieße den wirklich vorzüglichen Espresso. Dann erzähle ich Ihnen ein bisschen was über Patrick Riemer.“
Tessys Herzschlag beschleunigte sich. „Das ist ein sehr entgegenkommender Vorschlag. Danke für Ihr Verständnis.“
Wildorn stand auf. „Lassen Sie bitte Ihre Karte hier – damit ich Sie notfalls erreichen kann, falls ich mich verspäte.“
Tessy lächelte höflich und erhob sich. „Natürlich.“
Die Frau war ja nicht blöd – selbstverständlich würde sie erst mal sämtliche Angaben prüfen oder prüfen lassen. Dabei wird sie dann feststellen, dass ich erst seit gestern Privatermittlerin bin und ansonsten eine gescheiterte Journalistin, dachte Tessy. Das waren beste Voraussetzungen, um ernst genommen zu werden.
Dussmann öffnete erst um zehn Uhr seine Pforten. Tessy ließ ihr Fahrrad stehen, besorgte sich einen Coffee to go in dem Shop, den Wildorn als Treffpunkt genannt hatte, und schlenderte die Friedrichstraße hoch. Das frühsommerliche Wetter war ein Geschenk. Ein Blumenhändler brachte einen Korb voller zartgelber Rosen nach draußen und platzierte ihn auf dem Bürgersteig unter einem Schirm. Zwei junge Frauen liefen Hand in Hand hinter einer Tram über die Straße. Irgendwo klingelte ein Handy.
Später saß Tessy bei Dussmann vor einem PC und informierte sich zu verschiedenen Themen. Es konnte nicht schaden, sich mal näher mit den Rechten und Pflichten zu befassen, die für private Ermittler von besonderer Bedeutung waren. Tessy war verblüfft, wie einfach die juristischen Rahmenbedingungen waren: Sie hatte keinerlei Sonderrechte oder Befugnisse, und wenn Gefahr in Verzug war, hatte sie genauso zu handeln wie jeder andere Nicht-Polizist auch. Etwas kniffliger gestaltete es sich, wenn sie zum Beispiel jemanden beschattete, der eine Straftat begangen hatte oder begehen könnte oder bei dem diese Vermutung nahe lag … Der Text war zermürbend umständlich formuliert.
Schließlich loggte sie sich bei ihrem Mailserver ein und schrieb Edgar ein paar Zeilen. Was ihr bislang nicht gelungen war, hatte sein bayerischer Freund fast mühelos geschafft: Kurt hatte ihn davon überzeugen können, dass man ohne Internet heutzutage ganz schön alt aussah und ihm eine Mailadresse eingerichtet, die Edgar nun mit wahrer Begeisterung nutzte.
Um kurz nach elf war sie wieder auf dem Rückweg zum Coffeeshop. Tessy hatte kaum Latte macchiato und Schokoladenkuchen geordert und einen Fensterplatz ergattert, als Maren Wildorn zur Tür hereinkam. Sie sah immer noch so frisch und elegant wie vor gut zwei Stunden aus, während Tessy spürte, dass der Tag längst angefangen hatte, Spuren zu hinterlassen – zumindest bei ihr. Sie ließ ihre Blicke unauffällig über die Silhouette der toughen Lady wandern – an Busen und Po verweilte sie etwas länger. Die Wildorn setzte sich mit einem Espresso zur ihr.
„Vielen Dank noch mal für Ihre Gesprächsbereitschaft“, sagte Tessy artig. „Ich weiß das sehr zu schätzen.“
„Keine Ursache – wie gesagt: Ich bin um die Zeit hier Stammgast, und Patricks Tod lässt mich auch nicht kalt.“ Sie schmunzelte kurz, als Tessy sie abwartend ansah. „Sicherlich hat Ihnen Patricks Frau etwas anderes erzählt. Vielleicht sogar Patrick selbst. Fest steht, dass wir kein gutes Team waren. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Schon gar nicht seitdem ich die Leitung der Niederlassung übernommen habe.“
„Patrick hatte sich Hoffnungen auf den Job gemacht, soweit ich weiß“, bemerkte Tessy.
„Ja. Er war länger in der Firma als ich, zumindest hier in Berlin, und er hat seine Stärken … hatte seine Stärken… ohne Zweifel. Aber letzten Endes ist die Wahl auf mich gefallen.“
„Warum eigentlich?“
„Wollen Sie eine ehrliche Antwort?“
„Natürlich – darum bin ich
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