Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars
kann.“
„Aber das allein muss nichts heißen, oder?“
Klingers Lächeln begann deutlich zu schwächeln. Tessy gab ihr noch zwei Minuten, in denen sie die Contenance Stück für Stück verlieren würde. Vom anderen Ende des Flures war das leise Plink des Fahrstuhls zu hören, kurz darauf ertönten mehrere Stimmen, ein kurzes Auflachen. Klinger sah sichtlich erleichtert über die Ablenkung an Tessy vorbei und grüßte höflich. Zwei Herren eilten schnurstracks, aber freundlich nickend und winkend in den nächsten Gang und schlossen ihre Bürotüren auf. Eine Frau blieb hinter Tessy stehen. „Guten Morgen, Monika.“
„Guten Morgen, Frau Wildorn.“
Tessy drehte sie sich um. Wow. Das Foto hatte nicht zuviel versprochen. Eher hatte es schamlos untertrieben. Eine schlanke, groß gewachsene Frau mit dunkelblondem Haar und tiefblauen Augen musterte sie für einen Moment aufmerksam. Sie trug einen anthrazitfarbenen Hosenanzug, der mit Sicherheit maßgeschneidert war, hatte ein kraftvolles Kinn und einen Mund, der zum Träumen verleitete. Jedenfalls Tessy. Sie schluckte.
„Das ist Frau Ritter“, stellte Klinger sie schnell vor. „Sie behauptet, dass sie heute früh einen Termin bei Ihnen hat, aber im Kalender ist nichts eingetragen.“
Tessy nickte und setzte eine bedauernde Miene auf, während die Geschäftsführerin einen Schlüssel aus ihrer Aktentasche zog und sich zum Gehen umwandte. „Worum geht es denn?“, fragte sie und wirkte vollkommen desinteressiert.
„Um Patrick Riemer.“
Wildorn hielt inne. „Sammeln Sie?“
„Wie bitte?“
„Na ja – für Grabblumen, einen Kranz oder dergleichen?“
„Ach so. Hm. Sagen wir: so ähnlich.“
„So ähnlich?“
„Ja. Geben Sie mir fünf Minuten“, sagte Tessy und hielt dem Blick stand, der nun sehr direkt war. „Bitte.“
Wildorn sah auf ihre Armbanduhr. „Na schön. Kommen Sie mit.“
Monika Klinger war bass erstaunt, und Tessy konnte sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen, bevor sie sich Wildorn anschloss. Die Ausstattung des Büros entsprach mit seinen grau-blauen Grundtönen ganz und gar der abgeklärten Eleganz der Geschäftsführerin, wurde jedoch von mehreren großformatigen Farbdrucken und einem gemütlichen Ohrensessel am Fenster aufgelockert.
„Nehmen Sie Platz“, sagte Wildorn, stellte ihre Aktentasche neben den Schreibtisch und fuhr den PC hoch, bevor sie sich setzte. „Worum genau geht es?“
Tessy ließ sich ihr gegenüber in einem zierlichen Stuhl nieder und atmete einen Moment die geschäftige Atmosphäre ein. Hier also war Patrick zu Hause gewesen – viele Jahre lang. Hundertprozentig stimmte das Bild, das sie von Kerstins Mann gehabt hatte, nicht damit überein, aber das musste nichts heißen. Vielleicht hatte sein Büro ganz anders ausgesehen, und man pflegte untereinander einen lockeren Umgangston.
„Patrick Riemers Familie ist zutiefst erschüttert über die Ereignisse, wie Sie sich denken können.“
„Natürlich.“
„Niemand versteht wirklich, was ihn bewogen haben könnte, seinem Leben so abrupt ein Ende zu setzen, wie es die polizeilichen Ermittlungen nahe legen“, fuhr Tessy fort.
Wildorn nickte bedächtig. „Sie gehören zur Familie?“
„Fast.“
Wildorn wartete einen Moment, ob Tessy ihre Antwort ohne weitere Aufforderung näher erläutern würde. Als das nicht geschah, sah sie erneut auf die Uhr. „Hören Sie, Frau Ritter, die ersten zwei Minuten sind bereits um. Sagen Sie mir bitte, was Sie hierher führt, sonst muss ich Sie bitten …“
„Na klar.“ Tessy hob die Hände. „Tut mir leid, wenn ich so um den heißen Brei herumrede. Ich bin damit beauftragt, privat weiter zu ermitteln, wo die Polizei nicht mehr nachfragt – mangels entsprechender Indizien. Sie kannten Patrick Riemer sehr gut, hatten täglich mit ihm zu tun, sogar noch am Tag vor seinem Tod. Frau Riemer erhofft sich eine weitergehende Klärung der näheren Umstände seines Suizids, und es wäre ausgesprochen hilfreich, wenn ich Ihnen einige Fragen stellen könnte.“
Maren Wildorn blickte sie an. In ihren Augen hatte es kurz aufgeblitzt.
„Ich habe der Polizei ausführlich Rede und Antwort gestanden“, erklärte sie schließlich. „Die Beamten waren sogar hier und haben auch mit anderen Kollegen gesprochen. Die Schlussfolgerungen waren eindeutig. Reicht das wirklich nicht?“
„Der Witwe nicht, nein. Patrick Riemer hinterlässt Frau und zwei kleine Kinder. Sie hält die Selbsttötungsabsicht auch angesichts
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