Tessy und die Zärtlichkeit des Kommissars
zunächst noch versuchte, irgendwie abzuwiegeln, aber als er dann merkte, dass das gar keinen Sinn mehr hatte, ist er förmlich … ja: zusammengebrochen, hatte plötzlich starke Kopfschmerzen – so eine Art Stresskopfschmerz, darunter litt er hin und wieder. Und er wollte unser Treffen so schnell wie möglich beenden.“ Wildorn machte ein Gesicht, als könne sie das Ganze immer noch nicht verstehen. „Damit hat er überhaupt nicht gerechnet. Ich denke, den Rest der Geschichte kennen Sie auch schon: Ich habe ihn kurze Zeit später nach Hause begleitet, wobei ich kurzfristig die Hoffnung hegte, dass er mir die Unterlagen herausgeben würde, aber dazu war er dann doch nicht bereit. Also habe ich mich auf den Heimweg gemacht. Natürlich ist mir im Nachhinein mulmig geworden, und ich habe mich gefragt, ob es nicht fahrlässig war, ihn sich selbst zu überlassen, aber ehrlich gesagt …“ Sie schüttelte langsam den Kopf. „Dass er soweit gehen würde, hätte ich selbstverständlich nicht angenommen.“
„Und es war niemand da, als Sie bei ihm eintrafen?“
„Soweit ich das mitbekommen habe, war er alleine.“
Tessy lehnte sich zurück. „Verraten Sie mir eins: Ist seine heftige Reaktion nachvollziehbar? Was hätte ihm gedroht?“
„Sein endgültiges berufliches Aus, denn BORMAN hätte sich an die neue Firma gewandt, und dann wäre er seinen Job ganz schnell wieder los gewesen“, erwiderte Wildorn prompt. „Die können niemanden mit einem solchen Ruf gebrauchen und sind auch nicht scharf darauf, wegen so einer Sache unter Beschuss zu geraten oder schief angesehen zu werden. Und sehr wahrscheinlich hätte Patrick sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen“, antwortete Maren Wildorn.
„Aber all das wäre nur doch nur zum Tragen gekommen, wenn man ihm den vorsätzlichen Klau eindeutig hätte nachweisen können.“
„Glauben Sie mir, das wäre nicht sehr schwierig gewesen.“
„Sie meinen – es gab Zeugen?“
Wildorn lächelte kurz.
„Warum hat er nicht einfach alles verschwinden lassen und behauptet, dass Sie Unfug erzählen?“
„Das ist wieder so eine Frage, die Sie nicht mir stellen dürfen.“
„Schade.“ Tessy lächelte. „Vielleicht wagen Sie einfach eine Einschätzung. War Patrick so überrumpelt, dass er Hals über Kopf reagierte? Hätte ihn achselzuckende Gelassenheit und Abgebrühtheit weiter gebracht? Immerhin hatte er doch beruflich und privat die Weichen neu gestellt und war guten Mutes. Warum trat er nicht einfach die Flucht nach vorne an?“
„Tja.“ Wildorn schob ihre Tasse zurück. „Er war nicht sehr nervenstark – meines Erachtens nach noch nie gewesen. Und sein privates Glück – nun ja … Auf so festen Füßen stand das nun auch nicht.“
Tessy hielt kurz den Atem an, während die Geschäftsführerin den Stuhl ein Stück nach hinten rückte. „Könnten Sie das erläutern?“
„Als Freundin der Familie müssten Sie mehr wissen als ich.“
„Wahrscheinlich verfügen Sie über andere Quellen.“ Tessy bemühte sich um ein besonders herzliches Lächeln.
„Na schön: Patrick vermutete, dass seine Frau einen anderen hatte.“
„Das ist lächerlich“, entfuhr es Tessy.
„Vielleicht, vielleicht nicht.“ Wildorn hob achselzuckend die Hände und stand dann auf. Für einen winzigen Moment blickte sie auf Tessy hinunter. „Sie entschuldigen, aber ich muss jetzt zurück ins Büro.“
„Ja, natürlich.“ Tessy erhob sich schnell. „Kann ich Sie noch ein Stück begleiten?“
„Um weitere Fragen zu stellen?“
„Nur noch eine, wenn Sie erlauben.“
Wildorn betrachtete sie kurz von der Seite, als sie das Lokal verließen und sich in Gang setzten. Wie zufällig berührten sich kurz ihre Schultern. Ein angenehmes Zucken durchfuhr Tessy. „Und wie lautet die?“
„Moritz Sigfeld.“
„Das ist keine Frage, wie Sie als Journalistin zweifellos gelernt haben dürften.“
Tessy spitzte die Lippen. Natürlich, dachte sie. Die Frau war ein Profi.
„Die beiden standen sich nahe. Sigfelds Tod hat Patrick ziemlich erschüttert“, sagte Tessy. „Können Sie das bestätigen?“
„Sigfelds Tod hat uns alle erschüttert. An Patricks letztem Tag sprach sich herum …“
„Woher kam die Information?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hatte jemand aus der Firma, der privat noch Kontakt zu ihm hielt, zufällig davon erfahren. Ich habe das nicht überprüft.“
„Sigfeld und Sie …“
Maren Wildorn blieb abrupt stehen und sah Tessy an. Sie waren
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