Teufel in High Heels
letzter Tag. Sämtliche Unterlagen waren penibel geordnet, sämtliche Kartons verklebt.
Blieb nur noch eins: meine Abschieds-Rundmail an die Kollegen zu versenden, die meine neue Kontaktadresse enthielt und allen versicherte, wie gern ich mit ihnen zusammengearbeitet hatte. Den ganzen Tag schob ich das schon vor mir her - vielleicht weil damit dieses Kapitel meines Lebens wirklich und unwiderruflich beendet war.
Ich drückte auf »Senden« - so widerwillig, als zwänge mich jemand, ins kalte Wasser zu springen.
Ding. Ding, ding, ding, ding, ding, ding. Sie haben neue Nachrichten.
Bevor ich auch nur einen Blick darauf werfen konnte, kam schon Marie-Therese, eine hübsche Pressereferentin, mit der ich ein paar Mal zu tun gehabt hatte, an meinen Schreibtisch gestürmt. »Bitte, Claire, bitte sag mir, dass deine E-Mail gerade bloß ein Witz war!«, stieß sie hervor. »Du willst doch nicht im Ernst für diese Vandalin Vivian arbeiten?«
Ich schluckte heftig. »Ähm, ja, ich -« Hinter mir hörte ich, ding-ding-ding, weitere E-Mails ankommen und sah zum Bildschirm.
Betreff: Weißt du, was du da tust?
Betreff: VG ist nicht zurechnungsfähig.
Betreff: Neeeiiin …
Betreff: Sag, dass es nicht wahr ist!
Und so weiter. Mit fliegendem Puls klickte ich mich durch ein paar der Nachrichten. Kein einziger meiner Kollegen hatte mit der üblichen »Viel Glück wir werden dich vermissen«-Botschaft geantwortet. Alle schienen restlos entsetzt von meinen Neuigkeiten zu sein.
Als ich mich wieder zu Marie-Therese umdrehte, sah ich ein kleines, völlig aufgewühltes Häuflein von Leuten um meinen Arbeitsplatz versammelt.
»Sie hat sich bei einer Vertriebskonferenz an einen Freund von mir rangemacht, in der Herrentoilette«, flüsterte Henry aus der Abteilung für Auslandslizenzen. »Ist ihm dahin
nachgegangen. Als er nicht darauf angesprungen ist, hat sie ihn am nächsten Tag wegen ›Diebstahls von Bürozubehör‹ gefeuert. War natürlich absolut nichts dran, aber er fand es ziemlich sinnlos, sich mit einer rachsüchtigen Soziopathin vor Gericht herumzukloppen.«
»Oh, für so was ist sie berühmt«, bestätigte Gail, die als Junglektorin für ein anderes Imprint arbeitete. »Du bringst dich für sie um, und sobald du nicht mehr da arbeitest, erzählt sie allen in Hörweite, dass du ein Drogenproblem hast oder nicht ganz richtig tickst oder gern lange Finger machst … was du dir nur vorstellen kannst.«
»Ich kenne einen Agenten, dem Vivian angedroht hat, ihn zu Brei schlagen zu lassen , wenn er sie wegen eines krassen Vertragsbruchs zur Rechenschaft ziehen würde. Sie wollte bei einem Buch einen anderen Autorennamen angeben!«, schwor Max, ein sanftmütiger Mitarbeiter aus der Grafikabteilung. »Weil es sich dann angeblich besser verkaufen ließe!«
»Sie ist schwer gestört, Claire«, sagte Marie-Therese eindringlich. »Ich habe mal bei Mather-Hollinger gearbeitet, und die Geschichten über den zwölften Stock sind einfach unglaublich. Mit der Frau stimmt irgendwas ganz und gar nicht. Sie ist fast schon unmenschlich.«
Großstadtlegenden , redete ich mir ein, verzweifelt darum bemüht, mich nicht verschrecken zu lassen. »Ich danke euch allen!«, sagte ich aufgesetzt fröhlich. »Aber mein Entschluss steht fest.«
Niemand rührte sich vom Fleck. Alle starrten mich mit besorgten Mienen an.
Marie-Therese trat einen Schritt vor. »Claire, vielleicht solltest du -«
»Hoffe, wir bleiben alle in Verbindung!«, zwitscherte ich. »Na, dann mache ich mich wohl mal langsam vom Acker.«
Sie zögerten noch einen Moment, dann verabschiedeten sie sich und wünschten mir alles Gute.
»Sie haben bestimmt übertrieben, Claire«, sagte Mara - lieb gemeint, aber wenig überzeugend.
Bestimmt hatten sie das. So schlimm konnte es doch nun wirklich nicht sein? Vivian war aggressiv und fiel aus dem Rahmen, so viel war klar, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie - wie in einer E-Mail behauptet - quer durch den Raum einen Stuhl nach einem Lektor geworfen hatte. Oder dass sie eine frühere Marketingleiterin bei einer Besprechung als »dreckige Hure« bezeichnet hatte.
Solche Geschichten konnten einfach nicht wahr sein. Zum einen würde die Personalabteilung von Mather-Hollinger ein derartiges Benehmen in ihren Geschäftsräumen und gegenüber ihren eigenen Angestellten niemals dulden.
Außerdem hatte neulich eine Kolumne in der Daily News Vivian selbst mit der Bemerkung zitiert,
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