Teufel in High Heels
»Vivian verlangt« oder »Vivian erwartet« ein.
Die Botschaft war klar. Bei diesen ersten zehn mir übertragenen Projekten sollte ich Vivians Vorstellungen in die Tat umsetzen. Wogegen ich gar nichts einzuwenden hatte. Auf die Weise konnte ich mir etwas von ihr abschauen , dachte ich. Außerdem rissen mich die Projekte, die man mir zugeteilt hatte, sowieso nicht vom Hocker - sie beflügelten meine kreativen Kräfte eher weniger, um es milde auszudrücken. Wenn ich erst einmal eigene Bücher anbrachte, würde ich als Lektorin auch mit mehr Autorität auftreten.
»Also, alles verstanden?«, fragte Dawn und tippte mit ihrem Bleistift auf den Tisch.
»Glaub schon. Wenn ich noch Fragen habe, soll ich dann einfach -«
»Manche Fragen kann Graham vielleicht klären. Aber ganz ehrlich, was wir an Informationen haben, finden Sie in den Akten hier. Viel Glück, Claire. Ich weiß, es ist nicht leicht mit solchen Altlasten.« Einmal kurz gelächelt, dann war sie weg. Graham nickte mir knapp zu und folgte ihr auf dem Fuß. Da saß ich nun, mutterseelenallein mit dem tonnenschweren Packen von Ordnern.
Alsdann, Ärmel aufkrempeln und ab an die Arbeit.
Das Problem war nur: Ich hatte keine Ahnung, wo sich mein Büro befand. Oder die Damentoilette oder sonst irgendwas. Da saß ich nun und wusste nicht recht, was ich tun sollte -
»Ach Gott, Entschuldigung.« Dawn steckte erneut den Kopf zur Tür herein. »Kommen Sie mit, ich führe Sie schnell einmal herum.«
»Ich möchte eine neue Kollegin willkommen heißen«, sagte Dawn, und ich winkte in die Runde. Es war meine erste Lektoratssitzung, an meinem dritten Arbeitstag bei Grant Books. »Claire ist von P&P zu uns gekommen. Wir freuen uns alle sehr, dass Sie hier sind, Claire.«
Ich lächelte Dawn dankbar an und ließ den Blick einmal kurz durch den Raum wandern, auf der Suche nach weiteren freundlichen Gesichtern. Hmm. Die meisten wirkten abgekämpft und abwesend. Viele sahen nicht einmal in meine Richtung. Phil Stern, ein langjähriger Lektor, den ich zu Anfang der Woche beim Rundgang mit Dawn durch das Büro kennengelernt hatte, war der Einzige, der mir ein richtiges Lächeln schenkte.
Lektoratssitzungen liefen überall in der Branche so ziemlich nach dem gleichen Schema ab. Bei P&P waren sie immer ein Forum gewesen, in dem Mitarbeiter aus allen Bereichen - Lektorat, Presse, Marketing und Lizenzen - Fragen stellten, Bedenken äußerten, Arbeitsberichte lieferten, Meinungen anderer zu einem Manuskript einholten und sich generell einen Überblick darüber verschafften, was all die anderen Rädchen im Getriebe der großen Publikationsmaschine so trieben. Ich hatte unsere wöchentlichen Besprechungen immer sehr genossen, vor allem wegen Gordons herrlich respektloser Bemerkungen über alles und jedes.
Nach Dawns kurzer Führung durch das Büro hatte ich schon vermutet, dass die Lektoratssitzungen bei Grant Books anders aussehen würden. Als Erstes fiel mir auf, dass meine
neuen Kollegen offenbar nicht gerade zur geselligsten Sorte zählten - aber vielleicht brauchten sie ja auch nur ihre Zeit, um sich für Neuzugänge zu erwärmen. Wo immer Dawn an eine geschlossene Bürotür klopfte, hatte der oder die dahinter hausende Lektor/in zaghaft den Kopf herausgestreckt, mir die Hand geschüttelt und husch, husch drinnen wieder Deckung gesucht. Im Gegensatz zu den Kollegen bei P&P, die gern im Flur bei einem Schwätzchen verweilten, schienen die Mitarbeiter von Grant Books von morgens bis abends in ihren Büros zu hocken und sie nur zu kurzen Ausflügen in die Teeküche und zur Toilette zu verlassen.
Mein eigenes Büro war geräumiger als erwartet, mit einem großen Fenster, das Ausblick auf die Innenstadt bot. Kein Vergleich mit dem Verschlag, in dem ich noch vor einer Woche gearbeitet hatte.
»Fangen wir einfach schon mal ohne Vivian an.« Dawns energische Aufforderung brach die Stille und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen am Tisch. Dawn sah zu Karen Heffernan, der überaus talentierten Leiterin unserer Grafikabteilung. Grant Books war berühmt für seine genialen, originellen Cover - woran Vivian durchaus einen maßgeblichen Anteil hatte, doch auch Karens Beiträge waren nicht gering zu achten. Bisher hatte sie mich echt beeindruckt. Ein zierliches Püppchen von Anfang zwanzig mit erstaunlich viel Chuzpe - gestern hatte sie bei einer Besprechung Vivian unerschütterlich standgehalten und sie sogar von irgendeiner Idee abgebracht. Ihre nüchterne, direkte
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