Teufel ohne Gnade Kommissar Mor
Monats. „Wohltätigkeitsfest in der Albert-Hall", war an diesem Abend das Gesprächsthema der feinen Gesellschaft. Schon seit Stunden sah man in den Häusern der Geladenen die Diener und Zimmermädchen wie aufgescheuchte Bienenhaufen um ihre Herrschaft herumwetzen. Manch unfreundliches Wort mußten die geplagten Geister über sich ergehen lassen. Aber war es wirklich ihre Schuld, daß hier ein Cutaway, der vor einigen Tagen noch paßte, heute nicht mehr richtig saß. — Oder dort aus der kostbaren neuen Robe einer Lady oder gar einer Miß ein Fettpölsterchen zuviel hervorquoll? — Gewiß nicht! — Viel Ärger hatte es gegeben, bis es so weit war, daß die Wagen Vorfahren konnten und die holde Weiblichkeit mit dem ehrfürchtigen Familienoberhaupt die Fahrt zur Albert-Hall antreten konnte. Manch aufgeputztes Töchterchen fieberte in nervöser Spannung dem Ereigniß entgegen. In der ersten Etage der Cadogan Lane 13 in Pimlico verliefen diese Vorbereitungen zum gesellschaftlichen Höhepunkt des Monats ruhig und sachlich. Obwohl auch Belinda Craffield, deren Pseudonym auf den Rückseiten aller Einladungskarten prangte, nicht so gelassen wie sonst in ihr Kleid schlüpfte, merkte man es ihr nicht an, daß sie bereit war, ihre künstlerische Begabung in der Höhle des Löwen unter Beweis zu stellen.
Wie allabendlich prüfte sie nur einmal den Sitz ihrer Garderobe, zog noch etwas Lippenrot nach und betrat dann ihren kleinen Salon. Sofort erhob sich aus einem der Sessel ein sorgfältig gekleideter Mann. Ein anerkennendes, freundliches Lächeln trat in sein Gesicht und machte es trotz der leicht angegrauten Schläfen sehr jugendlich.
„Belinda, du siehst bezaubernd aus." Hingerissen von ihrem Charme ergriff er ihre Hand und führte sie zum Munde.
„So, gefall ich dir William?" Wie alle Frauen der Welt, so fühlte sich auch Belinda Craffield angesichts der Worte ihres alten Bekannten geschmeichelt. Graziös drehte sie sich vor den bewundernden Blicken des Mannes im Kreise und hielt mit einem vollendeten Hofknicks in- ne: „Darf ich um Ihren Arm bitten, Mr. Haggerthy?"
„Please, schöne Lady. — Es wird mir eine Ehre sein, eine so begnadete Künstlerin bis zum Tempel der Muse geleiten zu dürfen", erwiderte er in der gleichen heiteren Art, in der Belinda das kleine Zwischenspiel begonnen hatte. Hell lachten beide auf, als sie den gemütlichen Salon verließen und die Etagentür von außen versperrten. Nachdem sie mit einem Lift hinuntergefahren waren, standen sie in der regnerischen Nacht. Unheilverkündend fegten vom Westen her schwere Wolken über die Stadt und schienen sich bedrückend auf Belinda Craffields Gemüt zu legen. Ihr Lächeln verschwand immer mehr aus ihrem Gesicht, und als sie den Wagen William Haggerthys bestiegen hatten, blickte sie ernst und stumm gegen die beschlagene Windschutzscheibe. Schweigsam verlief auch die weitere Fahrt. William Haggerthy blickte einige Male besorgt auf die Frau. Er wußte, daß es für sie nicht leicht sein würde, sich gegen die voller Vorurteile steckende Gesellschaft in der Albert-Hall zu behaupten. Sooft er auch ein tröstliches Wort auf der Zunge hatte, schwieg er dennoch. Belinda brauchte jetzt Ruhe, um sich für ihre schwere Aufgabe sammeln und vorbereiten zu können. Als der Lowndes Square zur Rechten auftauchte, waren sie bald am Ende ihrer Fahrt. Belinda Craffields Hand legte sich unvermittelt auf den Arm des Mannes.
„William, du bist zwar erst einige Stunden hier in London. Würde es dir sehr viel ausmachen, mich in zwei Stunden wieder abzuholen?"
„Selbstverständlich, Belinda! — Zu dumm nur, daß ich die erstaunten Gesichter der Leute in der Hall nicht sehen kann — wenn du plötzlich als Belinda Nair auftrittst." Bedauern sprach aus den Worten William Haggerthys.
„Ja, es ist wirklich schade, daß der Ausschuß dir keine Ladung geschickt hat. — Aber sage mal, ich kann doch dieses Versäumnis nachholen und dich dort einführen", versuchte Belinda einen Weg zu finden, um wenigstens einen Menschen, der es gut mit ihr meinte, in der Hall zu wissen.
Haggerthy zeigte lächelnd seine Zähne. Sein Blick ging von Belindas fragenden Augen an seiner Gestalt herunter. „In diesem Aufzug würde die Gesellschaft wohl nicht mit mir vorlieb nehmen."
„Verzeih' William — daran habe ich nicht gedacht."
Langsam steuerte Willam Haggerthy seinen Wagen die Auffahrt zur Albert-Hall hinauf. Vorbei an chromblitzenden Straßenkreuzern, die bereits ihre
Weitere Kostenlose Bücher