Teufel ohne Gnade Kommissar Mor
Aktendeckel. „Mordsache Jeffrey Craffield", prangte in Druckbuchstaben darauf. Als er den Dek- kel zurückschlug, sah Wachtmeister Challingham, daß sich nur ein einziges Blatt darin befand. Er wußte Bescheid.
„Sehen Sie, C. C. — Das einzige, was ich mit Bestimmtheit weiß, ist, daß Lord Craffield gegen dreiundzwanzig Uhr des gestrigen Abends mit bloßen Händen erwürgt wurde. — Im Bericht unseres Doc heißt es hier weiter: Leichte Anzeichen lassen darauf schließen, daß der Mord nicht erst am River-Lea, dem Fundort der Leiche, sondern schon einige Zeit vorher stattgefunden hat. — Vermutungen, C. C., wie auch ich noch völlig im Dunkeln tappe und nur vermuten kann. Darum befindet sich auch in dieser Akte noch kein weiteres Blatt."
„Was glauben Sie, Kommissar, welches Tatmotiv liegt diesem Fall zugrunde? Effekthandlung oder . . .?"
„No, keine Effekthandlung, C. C.! — Mein Gefühl sagt mir, daß es Gewinnsucht war. Sie kennen mich lange genug, um zu wissen, daß ich mich hierin noch niemals getäuscht habe. Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich auch das Nächstliegende in Erwägung gezogen; die Verwandtschaft des Ermordeten? — Zwei der infrage kommenden Personen habe ich im Laufe des Vormittages bereits aufgesucht. Beide haben für die Tatzeit ein Alibi angegeben, das im Augenblick nicht zu bezweifeln ist. Ob sie aber unseren Ermittlungen standhalten, wird die Zukunft beweisen. Morgen früh werden Mr. Sterling O'Hara und Louis Aden hier zur Vernehmung erscheinen. Richten Sie es so ein, C. C., daß Sie die Aussagen der beiden Herren entgegennehmen können!"
Stumm nickte Wachtmeister Challingham mit seinem Kopf und lauschte weiter aufmerksam Kommissar Morrys Ausführungen: „Die letzte Person, gleichzeitig auch das letzte Glied, aus der Verwandtschaft des Toten, ist eine Frau. Miß Belinda Craffield! — Leider habe ich sie nicht in ihrer Wohnung in der Cadogan-Lane 13 angetroffen. Obwohl Frauen ihres Fachs den Tag zur Nacht machen und umgekehrt, hatte diese Frau schon längere Zeit vor meinem Erscheinen ihre Wohnung verlassen."
Wachtmeister Challingham pfiff durch die Zähne: „Ausgerückt, Sir?"
„Dachte ich zunächst auch, C. C. Als ich mir dann aber Zutritt in ihre Wohnung verschafft hatte, mußte ich meinen Verdacht revidieren. Keine Anzeichen einer Flucht waren vorhanden. Schon gar nicht einer überstürzten Flucht. Alles war tip-top in ihren Räumen aufgeräumt und stand an den gewohnten Plätzen. Als ich auch noch sämtliche Kleider, sowie die Wäsche dieser Frau in den Schränken und in einer Schatulle wertvollen Schmuck und einen hohen Geldbetrag vorfand, war mir klar, daß Miß Craffield den Sonntag über zu Freunden in die Provinz gefahren war. Diesmal in der Begleitung eines gewissen Mr. William Haggerthys. — Also, C. C., diese Frau werden wir vor morgen mittag nicht erreichen können. Versuchen wir bis dahin, weitere Anhaltspunkte in diesem mysteriösen Mordfall zu finden. Ich habe
so eine gewisse Ahnung, daß wir eine harte Nuß zu knacken haben und daß uns da nur der Zufall auf die richtige Spur des Täters bringen wird."
Die nach kurzem Anklopfen in das Zimmer des Kommissars tretenden Detektive der Kriminalwache beendeten ihre Unterhaltung. Mit wenigen Worten erklärte Kommissar Morry den Boys ihre Aufgabe. Dann verließen sie, jeder mit einer von Wachtmeister Challingham angefertigten Liste bewappnet den Raum und stürzten sich in das Gedränge des verregneten Nachmittages. Auch Wachtmeister Challingham schloß sich ihnen an. Als er vor der Tür des Headquarters seinen Mantelkragen hochschlug, schaute er grimmig zum verhangenen Himmel empor. Dunkelgrau, fast schwarz fegten die tiefhängenden Wolken über die Dächer der Stadt.
„Goddam! — Der Himmel sieht genauso schwarz aus, wie ich bisher diese Mordsache beurteilen kann!"
5
Bevor Kdmmissar Morry jedoch Belinda Craffield zu Gesicht bekam, begann eine ereignisreiche Nacht. Sie begann damit, daß Louis Aden nervös zusammenzuckte, als das Schlagwerk der in Gloria Allysows Wohnung befindlichen Uhr die zehnte Abendstunde anschlug.
„Schon Zehn, Sweety?" fuhr er verstört hoch und löste sich fast brutal aus den Armen der superblonden Sphinx.
„Yes, Darling! — Warum fragst du?" tat Gloria Allysow einen kurzen Moment mokiert.
„Ich muß noch einmal telefonieren!" antwortete der Mann barsch und schritt zum Apparat hinüber.
„Aber das ist doch schon das drittemal innerhalb der letzten halben Stunde.
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