Teufel ohne Gnade Kommissar Mor
her.
Während Belinda Craffields und Ivry Dellingers Köpfe zur Tür hinschauten, blieb Kommissar Morry regungslos sitzen. Er hatte in dem vor ihm hängenden Wandspiegel schon lange das Eintreten des Mannes bemerkt und war darum nicht überrascht, den Mann nun sprechen zu hören. „Nein William!" — entgegnete die Frau mit brüchiger Stimme, aber doch bestimmend. „Ich werde bis zum Begräbnis meines Oheims bei meinem Onkel Sterling O'Hara bleiben. Hiernach werde ich dort hinfahren, wo ich eine zweite Heimat gefunden habe; in die Provinz."
Kommissar Morry und Ivry Dellinger hatten sich erhoben. Sie schienen ihre Anwesenheit für überflüssig zu halten. Dennoch sah es so aus, als würden Belinda Craffields Finger einen Herzschlag zu lange in der Hand Ivry Dellingers verweilen.
„Miß Craffield!" richtete Kommissar Morry noch einmal sein Wort an die Frau.
„Wenn Sie London verlassen, wollen Sie mich bitte davon in Kenntnis setzen."
„Ja, Kommissar!"
7
Während Kommissar Morry Steinchen auf Steinchen zusammentrug, um die diabolische Bestie zur Strecke zu bringen, vergingen weitere Tage. Sie verliefen ruhig — zu ruhig, und Kommissar Morry ahnte, daß es nur die sogenannte Ruhe oder Windstille vor dem großen Sturm war. Er verdoppelte seine Anstrengungen und ließ die nach seiner Ansicht gefährdeten Personen Tag und Nacht verstärkt überwachen, um sie vor dem gleichen Schicksal Lord Craffields — und Louis Adens — zu bewahren. Obwohl er absichtlich ein öffentliches Fahndungsersuchen nach Louis Aden an alle Polizeistellen gesandt hatte, fühlte er, daß er diesen Mann nicht mehr lebend zu Gesicht bekommen würde. Sein Verschwinden und seinen Tod hatte er bereits in seine Kombinationsmaschine eingebaut. Der Fall Louis Aden paßte genau in den Rahmen hinein, den er sich von dem mutmaßlichen Täter gemacht hatte. Nur noch eine große Lücke klaffte in seiner weltumspannenden Gedankenarbeit: Warum? — Bevor Kommissar Morry auf den Stein der Weisen stieß und das „Warum?" beantwortet hatte, brach der erwartete Sturm los. Die Ereignisse begannen sich aber an einer Stelle zu überstürzen, an der es Kommissar Morry am wenigsten erwartet hatte. Auch wußte er nicht um das Vorspiel, das um ein Haar einem weiteren, guten Menschen das Leben gekostet hätte. — Nat Fraeser entpuppte sich als die Schlüsselfigur dieses Dramas. Sein Stern begann schon zu dem Zeitpunkt zu sinken, als er nicht mehr den geringsten Versuch unternommen hatte, seinen in der Klemme sitzenden Fellow Mike Lister vor den herannahenden Polizei-Boys zu warnen. Seitdem Nat Fraeser seinen Komplicen schmählich im Stich gelassen hatte, verfolgte
ihn das Pech auf jedem seiner weiteren Schritte. Er war zu einem flackernden Nervenbündel geworden, nachdem man ihm in der Harmony- Bar den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte. „Ein Feigling verdient es nicht anders, als elendig in der Gosse zu verrecken!" hatte ihm der schwarze Jo bei seiner alleinigen Rückkehr und ohne das Fahrzeug mitzubringen ins Gesicht geschleudert. Als er nach diesen Worten dem Schwarzen ans Leder wollte, lief er gegen einen Berg von Fäusten. Dicht an dicht hagelte es auf ihn ein, und für Stunden hinaus war er jeder Sorge enthoben. Der beißende Gestank einer Abfallgrube ließ ihn wieder zu sich kommen. Mit geschwollenen, blutunterlaufenen Augen und Schmerzen in jedem Glied schlich er wie ein räudiger Hund aus dem Hof der Harmony-Bar und schleppte sich in einen verfallenen Lagerschuppen am East-Dock. Einen ganzen Tag und auch noch die halbe folgende Nacht verbrachte er schlafend zwischen den klappernden und quietschenden Türresten des ehemaligen Speichers. Dann quälte ihn der Hunger, und wie das scheue Wild der Berge in den strengen Wintertagen den Weg zu den Wohnstätten der Menschen findet, schlich Nat Fraeser sich in die dunklen Gassen von Chadwell. Man hatte ihm seine Habe nicht aus den Taschen genommen, und in einer dreckigen Spelunke am Old-Basin fragte der Keeper nicht nach seinem Aussehen.
„Wasch dir erst das Gesicht ab, bis dahin hat dir meine Nelly ein fürstliches Gericht zurechtgemacht", nahm der lausige Budiker ihm das entgegengehaltene Geld ab und brüllte einer hinter einem Bretterverschlag hantierenden Schlampe zu: „Goddam, alte Krähe! Kannst du wieder mal nicht hören. Ein Freund von mir möchte sich bei uns den Bauch vollschlagen. — Beeil dich — sonst mach ich dir Beine!"
Er nannte wohl jeden seinen Freund, in dessen Taschen noch
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