Teufel - Thriller

Die können Horrorgeschichten von Plünderungen erzählen.«
    »Ja, das könnte sein«, brummte Georg. »Zu allem Überfluss kommt auch noch Joseph II. auf die Idee, die beliebte Wallfahrtskapelle hier oben auszubauen. Gott weiß, warum.«
    »Das muss eine schöne Kirche gewesen sein«, mutmaßte Barbara und zeigte auf die Fundamente der Apsis.
    »Schon möglich«, gab Sina zu. »Aber kaum vierzig Jahre später reißt man sie wieder ab, transportiert sogar das Baumaterial ab, und im Zweiten Weltkrieg errichtet man hier eine Funkmessanlage.« Er wies auf das runde betonierte Fundament der Funkmessanlage aus dem Zweiten Weltkrieg. »Die Nazis haben ihr komisches rundes Dingsbums genau hier in die Mitte der Vierung gesetzt, sozusagen ins Herz der Kirche. Wozu das? Jeder andere Punkt auf dem Hügel hätte es auch getan. Zielsicher mitten ins kulturelle Erbe, pietät- und taktvoll, wie sie nun mal waren, die Herrenmenschen. Der Michelberg wurde zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Ich finde das seltsam.«
    Georg verstummte. Ein eigenartiger Gedanke ging ihm durch den Kopf. Jeder andere Punkt hätte es auch getan, dachte er und ließ seinen Blick über die umliegenden Bergkuppen wandern. Die moderne Anlage für die militärische Luftraumüberwachung, die sogenannte Goldhaube, befand sich am Buschberg bei Mistelbach. Deutlich war dort ihre Kuppel zu sehen, die in der Sonne gelblich schimmerte.
    Der Michelberg wurde vom Bundesheer in der Zweiten Republik als Standort aufgegeben, ob aus technischen und strategischen Überlegungen oder aus Ressentiments gegen die alten Machthaber, wusste niemand so genau. Georg machte ein paar Notizen auf seinem Block. Sogar wenn die alte Anlage von den Alliierten zerstört worden wäre, hätte man sie wieder herrichten und nutzen können. Aber sie verschwand unter der Grasnarbe …
    Hitler und Himmler hatten eine Ader fürs Okkulte, das war sattsam bekannt. Nehmen wir einmal an, mutmaßte Georg, die Nazis hätten von dem Geheimnis gewusst, auch ohne Jauerlings Archiv. Vielleicht waren ja die rot beschriebenen Blätter des Zwerges nicht die einzigen Quellen, die über die Reliquie berichteten. Auf dem gesamten Weg hierher hatte sich schließlich Indiz an Indiz gereiht, wie Perlen auf einer Schnur …
    Auf diesem Berg im Nirgendwo, in den Grundfesten einer im 10. Jahrhundert zerstörten Basilika der Franken, liefen alle Stränge dieser ganz und gar unglaublichen Erzählung auf wundersame Weise zusammen. Es musste also auch in Deutschland Querverweise und Überlieferungen geben, die in umgekehrter Richtung hierher auf diesen Berggipfel führten.
    »Die Wahrscheinlichkeit, dass die Nazis wussten, wonach und wo sie suchen mussten, ist verdammt groß«, murmelte Sina, während er eine SS-Rune neben seine Skizze zeichnete und ein fettes Fragezeichen daneben setzte.
    Seit der Machtergreifung 1933 hatten die Parteigranden ihre Nase ganz tief in Legenden, Mythologien und alte Geheimnisse gesteckt. Sie suchten den Heiligen Gral, den Speer des Schicksals, die Arche Noah und die Bundeslade, das Archiv der Templer und das Geheimnis der Katharer. Warum sollte ihre Gier nach Macht vor dieser Reliquie haltgemacht haben?
    Georg tippte mit dem Stift auf seinen Block. Und wenn es sich wirklich um den legendären »Corpus Christi« handelte? Vor seinen Augen sah er eine schwarze Armee im Stechschritt über den Petersplatz in Rom marschieren, und ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Kein göttlicher Jesus, keine Auferstehung, keine katholische Kirche und somit auch kein christlicher Widerstand mehr. Stattdessen wäre der Weg frei für die schwarzen Herren von Thule und ihre neue Pseudoreligion.
    Doch gab es außer dem Fundament dieser Funkmessanlage hier am Michelberg noch einen weiteren Hinweis auf Aktivitäten der Nazis? Georg drehte sich langsam um seine eigene Achse. Landschaft, so weit das Auge reichte. Doch dann spürte er plötzlich die Broschüre der Kirche in Schöngrabern in seiner Tasche. Der Aufstieg der NSDAP zur alleinigen Regierungspartei in Deutschland und der Rückbau von Schöngrabern fielen in denselben Zeitraum. In der Ersten österreichischen Republik hätte es in diesen Jahren schon genug illegale Parteimitglieder gegeben, um ein solches Unternehmen im Sinne des Führers oder Himmlers umzusetzen.
    »Barbara«, wandte sich Georg an die Nonne, »wo würden Sie den Zugang zu einer alten Krypta suchen? Zu einer unterirdischen Kirche, vielleicht mit Grüften oder einer