Teufel - Thriller
mir mehr Zeit geblieben, etwas zu organisieren«, beschwerte sich der Militärattaché und griff zu seinem Handy. »Jetzt habe ich gerade mal dreißig Minuten, bis wir am Flughafen sind.«
»Weinstein, das hier ist Italien und nicht Schwarzafrika. Es sollte kein Problem sein, einen Jet nach Schwechat zu finden, oder? Habe ich Ihnen übrigens schon erzählt, dass Li Feng zum Militärkommandeur von Lhasa ernannt wurde? Ich wette, wir brauchen an der dortigen Botschaft noch dringend einen Militärattaché unseres Vertrauens.«
Weinsteins Blick hätte auch eine Klapperschlange in ihren Korb zurückgetrieben.
Pension Ingrid, Quedlinburg, Sachsen-Anhalt/ Deutschland
G lück gehabt, dachte Georg Sina, als er den Kugelschreiber wieder hinlegte, mit dem er das Gästestammblatt der etwas abgewirtschafteten »Pension Ingrid« in der Weberstraße ausgefüllt hatte. Bestimmt würden die pfiffigeren Mitarbeiter der Tourismusbehörde sich später wundern, dass ausgerechnet Nelson Muntz und Edna Krabappel Kurtaxe bezahlt und zusammen in dem kleinen Hotel abgestiegen waren.
Die freundliche alte Dame, die der Pension ihren Namen gegeben hatte, überreichte Barbara und Sina die Zimmerschlüssel, ohne Verdacht zu schöpfen. Warum nicht?, schmunzelte Sina, auch Zeichentrickfiguren machen einmal Urlaub und bilden sich. Ein UNESCO-Weltkulturerbe wie die Stiftskirche St. Servatius lockte alle möglichen und unmöglichen Besucher nach Quedlinburg …
Die Touristen aus aller Herren Länder, die mit den üblichen Kameras bewaffnet das Stadtzentrum unsicher machten, waren ohnedies die einzigen Leute gewesen, die Barbara und er auf dem Weg hierher getroffen hatten. Die Stadtmitte brummte von bunt gekleideten Gästen wie ein gut gepflegter Bienenstock, mit frischen Fassaden, offenen Lokalen und Gastgärten in einer sonnigen Fußgängerzone.
Doch kaum ums Eck gebogen, hatte sich abrupt alles verändert. Als das Zentrum hinter ihnen lag, hieß es: Bonjour tristesse! Eine Wirklichkeit mit holprigem Straßenbelag, brüchigen Fassaden, noch nicht abbezahlten Wendekrediten und Hartz IV. So waren sie zwischen den Fachwerkhäusern, in den verwaisten Nebenstraßen und auf den Plätzen abseits der Sightseeing-Trampelpfade immer wieder alleine unterwegs gewesen.
»Hier kann man sich sehr schnell sehr einsam fühlen«, hatte Barbara gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
Die kleine Pension, keine fünf Minuten vom Stadtkern entfernt und doch Teil einer anderen Welt, war in zwei vor zwanzig Jahren liebevoll restaurierten Villen untergebracht. Doch der Zahn der Zeit hatte genagt: Das Speiselokal im Keller erinnerte eher an eine Kneipe aus den 70er-Jahren. Der Preis war moderat, der Komfort auch.
»Kommen Sie, Barbara, wir bringen jetzt unsere Sachen auf die Zimmer und dann gehen wir los.«
Kaum zwanzig Minuten später standen die Nonne und Sina wieder auf dem Hauptplatz und folgten den Wegweisern zur Stiftskirche. Der Weg nach St. Servatius war nicht weit, aber steil. Durch enge, unregelmäßig gepflasterte Gassen ging es bergauf, an Fachwerkhäusern, Souvenirgeschäften und Restaurants vorbei.
Aus fast jeder Auslage grinsten eine oder gleich mehrere Hexen die Passanten an. Es waren kleine und größere Puppen, mal hässlich, dann wieder aufreizend, die auf ihrem Besen zum Sabbat auf den Brocken ritten. Der Harz war nahe und damit der legendäre Hexentanzplatz der Walpurgisnacht.
Georg schmerzten vom vielen Laufen über das unebene Pflaster langsam die Füße. Auch Barbara sah blass und angespannt aus. Je näher sie den zwei rot gedeckten Kirchtürmen über den Dachfirsten kamen, umso bedrückter wurde sie.
Was erwartete sie in St. Servatius?
Tschak zog wie immer von alldem ungerührt an seiner Leine und schnüffelte begeistert an jedem Eck und in allen Winkeln. Von denen gab es in dem engen Straßengeflecht um den Schlossberg eine Menge. Der Hirtenhund flitzte hin und her, von einer Gassenseite zur anderen, und zwang die Passanten oft zu einem Hindernislauf über die gespannte Leine. Immer wieder blieb der kleine Hund stehen und blickte aufmunternd zurück.
Vor einem Straßenschild mit der Aufschrift »Finkenherd« blieb Sina stehen. »Genau hier ist es gewesen«, sagte er und wies nach oben. »Hier wurde der Legende nach Heinrich I. gekrönt, nachdem er auf dem Reichstag von Fritzlar 919 zum deutschen König gewählt worden war. Er war damals vierzig Jahre alt, stand in der Blüte seiner Jahre, wie die alten Griechen sagten.« Mit
Weitere Kostenlose Bücher