Teufel - Thriller
SS-Männer war hier enger als unten in der Stadt. Lindner hatte bereits vor Monaten mit den Vorbereitungen für den Besuch und die Feierlichkeiten begonnen. Straßen mussten ausgebessert, Häuser frisch gestrichen und Parkanlagen in Ordnung gebracht werden. Tausende Laufmeter Girlanden waren vorbestellt, die örtlichen Hitlerjugend-Verbände mit dem Anbringen des Schmucks betraut worden.
Bisher war alles gut gegangen.
Aber Lindner traute dem Frieden nicht. Er stapfte hinter einer Wand aus schwarzen Uniformen zur Stiftskirche hinauf und betete im Stillen, dass nichts schiefgehen möge.
Himmler sah nicht gut aus, abgemagert und blass, fast schon anämisch. Seine Augen irrten zwischen den hohen Steinwänden und den unbeweglichen SS-Wachen hin und her. Der steile Anstieg schien ihm zuzusetzen. Auf einem kleinen Platz blieb er stehen, bewunderte das Schloss und blickte nachdenklich auf die große mittelalterliche Kathedrale, Zeichen einer Religion, die er hasste und verachtete. Wer predigte schon Mitleid für die Schwachen, trat für Gemeinschaft aller Menschen ein und akzeptierte einen Juden als Gottes Sohn? Lindner schien es, als könne er die Gedanken Himmlers lesen.
Schließlich setzte der Reichsführer-SS mit einem unmerklichen Kopfschütteln seinen Weg fort, und wie auf ein unhörbares Kommando hin schritten auch alle anderen wieder andächtig hinter ihm her.
Aber das hier war etwas anderes, dachte Lindner, diese Kathedrale war für Himmler und sein Vorhaben angeblich von eminenter Wichtigkeit. Sie barg die Gruft von Heinrich I. und dessen Frau und damit vielleicht auch die Zukunft des deutschen Volkes, das aus der ruhmreichen Vergangenheit lernen und gestärkt in ein neues Jahrtausend gehen sollte. Der junge SS-Mann erinnerte sich etwas ratlos an Himmlers Worte. Welche Rolle sollte eine Gruft schon groß in der Zukunft des deutschen Volkes spielen?
Inzwischen war Himmler durch eine Gasse aus hochgereckten rechten Händen im Halbdunkel der reich geschmückten St.-Servatius-Kirche verschwunden, und Lindner atmete auf. Die Weihestunde zum 1000. Todestag Heinrichs I. konnte beginnen.
Kaum sechs Stunden später war alles vorbei. Die Ansprachen, die Kranzniederlegung Himmlers in der Krypta, die Gesänge und feierlichen Rezitationen. Der Großteil der Prominenz hatte seine Zimmer in den Hotels und Gasthäusern in der Stadt bezogen, die Übertragungswagen des Radios und die meisten Journalisten waren bereits wieder fort.
Lindner hatte den geordneten Abzug der Standarte »Germania« überwacht. Die Tritte der genagelten Stiefel waren zwischen den alten Mauern durch die schmalen Gassen gehallt. Fackeln waren entzündet worden und tauchten nun den Schlossberg und die Kathedrale in ein gespenstisches Licht, das sich in den Helmen der wenigen Sicherheitskräfte spiegelte, die noch durch die Straßen patrouillierten.
Es war ruhig geworden, und der SS-Obersturmbannführer setzte sich auf eine niedrige Mauer vor der Stiftskirche, von wo er die gesamte Stadt überblicken konnte. Er zündete sich eine Zigarette an und schaute dem Rauch nach, der in schlanken Spiralen nach oben strebte. Der Himmel wechselte von blau im Westen zu lila und endlich zu tiefschwarz im Osten. Lindner begann sich zu entspannen.
»Obersturmbannführer?« Eine leise Stimme riss Lindner aus seinen Betrachtungen. Einer der Adjutanten Himmlers stand hinter ihm und gab dem Obersturmbannführer ein ungeduldiges Zeichen. »Kommen Sie mit, der Reichsführer-SS will Sie sehen.«
»Warum?«, fragte er überrascht und drückte die Zigarette aus. »Ich dachte…«
»Denken Sie nicht«, seufzte der Adjutant, »das kann ins Auge gehen. Kommen Sie!« Er ging eilig voran zur Türe der Kathedrale, und Lindner folgte ihm rasch.
»Haben Sie eigentlich bemerkt, dass die Türklinke die Form eines Schweinehundes hat?«, lächelte der Adjutant dünn, zog den schweren Flügel auf und bedeutete Lindner einzutreten. »Sie werden gewünscht, nicht ich«, murmelte er leise und schob den Obersturmbannführer in das Dunkel.
In dem romanischen Chor der Kathedrale schimmerte der riesige Adler mit dem Hakenkreuz in seinen Fängen im Licht Dutzender Fackeln und Hunderter Kerzen. Die Kirche war menschenleer, auch die Ehrenwache war abgezogen. Lindner drehte sich um und wollte fragen, was Himmler hier noch machen sollte, wo doch keine Wache mehr für seine Sicherheit sorgen könne, doch der Adjutant hatte wortlos die Tür hinter ihm zugeschlagen und war draußen
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