Teufel - Thriller
wissen. Vor allem Adelheid I., Tochter von Theophanu und Otto II., hatte es geschickt verstanden, den Stiftsbesitz, ihr Wissen und ihren Einfluss auszubauen. Man schulte sogenannte Sanktimonialen, also Stiftsdamen, in diversen Künsten. Sie lebten hier mitsamt ihrer Dienerschaft und durften sogar Fleisch und Käse essen. Und auch Wein, Bier und Brot gab es ausreichend.« Er lächelte verschmitzt.
Wie die Jungfrauen der heiligen Ursula, durchfuhr es Georg. »Wie viele Stiftsdamen hat man hier zugleich ausgebildet?«
»Vierundzwanzig.« Zloduch zeigte nach oben. »Ihren Platz während der heiligen Messe hatten sie dort oben auf der südlichen Querhausempore, nahe bei der Reliquie des heiligen Cyriakus. Bei ihrer Heirat verließen die Damen das Stift wieder. Nach ihrer Erziehung und Ausbildung waren sie repräsentative Partnerinnen für jeden Fürsten…« Er grinste Sina an. »Zweimal zwölf, das kommt Ihnen bestimmt bekannt vor. Und es ist natürlich kein Zufall…«
»Nein, bestimmt nicht.« Georg war auf der Hut. Andererseits hatte er genug davon, um den heißen Brei herumzureden. Was wusste dieser Pfarrer? Sina entschloss sich zu einem Überraschungsangriff. »Gibt es in Gernrode einen Sternenweg?« Er hörte sich diese Worte sagen und konnte es selbst nicht glauben.
Paul starrte seinen Freund völlig entgeistert an.
Zloduch schien keineswegs überrascht. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ob es einen Sternenweg gibt, fragen Sie? Hier ist der Sternenweg, Professor. Sind Ihnen die Schilder neben dem Tor nicht aufgefallen?«
»Nein. Welche Schilder?« Georg verstand jetzt überhaupt nichts mehr.
»Gelbe Muschel auf blauem Grund«, erklärte Zloduch freundlich. »Sie sind hier auf dem Jakobsweg, den man früher auch den Sternen-weg genannt hat. Weil er auf das Sternenfeld, das Campostella , führt. Von Österreich über Tschechien nach Sachsen-Anhalt, und von hier über Köln via Frankreich nach Santiago de Compostela. Die alte Sternenstraße, eine Heerstraße der Franken, die bei Roncesvalles über die Pyrenäen führt, bringt sie direkt vor die Kathedrale des heiligen Jakob auf dem Sternenfeld.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen und sah Sina mit schief gelegtem Kopf an.
»Was sagst du dazu?«, flüsterte Paul überrascht. »Ich glaube es nicht …«
»Natürlich!« Georg fiel es wie Schuppen von den Augen. »Schon auf dem Michelberg, in Schöngrabern, in Eggenburg, in Quedlinburg… Die ganze Zeit über war ich auf dem Jakobsweg unterwegs… Wie konnte ich das nur übersehen?«
»Wer suchet, der findet. Wer klopfet, dem wird aufgetan…«, zitierte Zloduch lächelnd.
Sina hörte ihn nicht. Er blätterte fieberhaft in seinen Aufzeichnungen. Eine Zeile im Rätsel Jauerlings sprang ihm entgegen:
Gehe von Kaisers Osterfest im Norden mit dem Sternenweg nac h Westen, so weit die Erde reicht, dort liegt, was ic h dir versprochen habe .
Gernrode war nach Quedlinburg, der Osterpfalz der Ottonen, die nächste Station auf dem Pilgerweg nach Westen.
Und Santiago?
Santiago lag am Finisterre , am Ende der Welt.
Das war es, was Jauerling ihm sagen wollte.
Jesus lag am Ende der Welt.
Der Körper des Nazareners lag in der Kathedrale von Santiago de Compostela!
Piazza del Gesù, Rom/Italien
D as Innere der Kirche Il Gesù mit den prächtigen Deckenfresken und den üppigen goldenen Verzierungen war kühl und ruhig. Der Mesner, ein alter gebückter Mann, der bereits seit mehr als vierzig Jahren die Kerzen nachfüllte, die Opferstöcke leerte und den Blumen auf dem Altar frisches Wasser gab, stolperte langsam und bedächtig durch das Halbdunkel. Er war schwerhörig wie ein Stein und halb blind, doch aus Rücksicht auf seine religiöse Hingabe und seinen Eifer hatte es der Pfarrer auch dieses Jahr nicht übers Herz gebracht, ihn zu entlassen. So wischte er mit fahrigen Bewegungen über den Marmor und versuchte mit gichtigen Fingern und halb offenem Mund, die Deckchen zurechtzurücken, in einer Ausrichtung, die nur er kannte.
Pedro Gomez saß ganz still in der vorletzten Bank und betrachtete nachdenklich den Mesner in seinem schwarzen, ausgefransten Mantel. Der General der Jesuiten hatte sein Handy auf dem Schoß liegen, die MMS mit dem Bild aus Wien auf dem Display.
Die Lage war ernst.
Gomez war der einzige Besucher im Innenraum von Il Gesù und er wusste, warum. Vor den Türen standen vier beeindruckend große Leibwächter, die einen ganz genau umrissenen Auftrag hatten.
Der Spanier seufzte. »Der
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