Teufel - Thriller
Stille war gespenstisch.
Cavoretto schaute zum Himmel und lächelte wissend.
»Er fühlt sich deshalb hier wohl, weil seine Verehrer kein Klassenbewusstsein haben. Mit ihm will man schneller Karriere machen, bessere Geschäfte oder eine gute Partie. Es hat nichts mit der inbrünstigen und meiner Meinung nach sinnlosen Heiligenverehrung Süditaliens zu tun. Das Gespräch mit dem Teufel ist hier meist zweckgebunden.« Er machte eine effektvolle Pause. »Und erfolgreich«, fügte er dann hinzu.
Paul fragte sich, ob Cavoretto es tatsächlich ernst meinte oder ob er nur die Nonne provozieren wollte. Die unerschütterliche Überzeugung in der Stimme des Mannes verunsicherte den Reporter. Georg und Barbara standen allerdings etwas abseits und waren in ein Gespräch vertieft.
»Zwei dunkle Kirchen- und Glaubensgemeinschaften scharen hier in Turin die Anhänger des Fürsten der Finsternis um sich: die › Kirche Satans ‹ und die › Kinder Satans ‹ , die regelmäßig irgendwo in der Stadt jeden Sonntagabend ihre schwarzen Messen feiern.« Cavoretto hielt ein weiteres Taxi auf und bedeutete allen, einzusteigen.
»Palazzo Trucchi di Levaldigi«, nannte der Maler dem Taxifahrer als Adresse und wandte sich dann wieder seinen Gästen zu, die auf der Rückbank saßen. »Hier in Turin hat alles seine Symbolik, seine tiefere Bedeutung. Die Bewohner haben gelernt, damit zu leben und sich ihren Reim darauf zu machen. Schauen Sie die alten Palazzi an, mit ihren majestätischen Portalen, dem üppigen Figurenschmuck, den kleinen Nischen und teilweise grandiosen Deckenmalereien. Sie alle erzählen eine Geschichte, bilden Teile eines großen Ganzen, das diese Stadt ausmacht. Diese Stadt ist nach strikten geometrischen Prinzipien gebaut. Erinnern Sie sich an das Tor mit Romulus und Remus? Von dort zur Piazza Statuto, einem der Eingänge der Hölle, beträgt die Entfernung genau 1288 Meter, zu den Altären der beiden Kirchen nahe dem Teufelstor sind es genau 644 Meter.«
Paul wurde blass. Georgs und sein Blick trafen sich. »Ein Li und zwei Li, das chinesische Längenmaß ist wieder da, wie im Drachenviereck in Wien«, flüsterte der Reporter entsetzt.
Die Arkaden, an denen sie vorbeifuhren, waren noch immer voller Menschen, die flanierten oder sich auf einen späten Drink trafen. »Seit dem 18. Jahrhundert etablierten sich in Turin zahlreiche Sekten, esoterische und Initiationssekten, angefangen von der Carboneria über die Giovane Italia bis zur Massoneria, die sich mit Magie beschäftigten. Doch diese Geheimgesellschaften mussten sich vor den Tausenden indiskreten Augen verstecken. Zum Glück gab und gibt es in Turin unzählige, zum Teil noch heute unerforschte unterirdische Gänge, kilometerlange Tunnel, die einst als Versteck dienten, aber auch geheime Höhlen, wo verbotene Magie ungestört praktiziert werden konnte.«
»Turin ist also ein ideales Pflaster, um darunter zu verschwinden«, brummte Sina, »in einem jahrtausendealten Labyrinth im Untergrund, zu dem nur die Symbole den Weg weisen.«
»Ganz genau«, bestätigte Cavoretto. »Deshalb bringe ich Sie nun zum sogenannten › Tor des Teufels ‹ . Dahinter, so sagt man, beginnt sein Reich.«
Tief unter der Erde, zwischen Piazza San Carlo und Po, Turin/Italien
W eder Georg noch Paul waren besonders von dem Palazzo beeindruckt, vor dem sie der Taxifahrer aussteigen ließ. Cavoretto holte zwei Schirme aus dem Kofferraum, reichte einen an Sina weiter und nickte dem Fahrer zu. Das Taxi rollte lautlos davon.
»Müssen Sie nicht bezahlen?«, erkundigte sich Wagner verwundert.
Der Maler sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an. »Unsere Gemeinschaft ist so groß, dass viele ihr angehören, und so klein, dass fast alle sich kennen«, antwortete er unverbindlich. Er hakte sich wie selbstverständlich bei Schwester Barbara ein, die nichts dagegen zu haben schien, und wies auf das Gebäude vor ihnen. Es sah aus wie viele andere in der Stadt, ein Eckbau, der auch ein elegantes Wohngebäude, ein alteingesessenes Verwaltungszentrum, ein Zusammenschluss von Rechtsanwaltskanzleien oder ein Finanzamt hätte sein können.
»Das ist die Banca Nazionale des Lavoro«, erklärte da auch schon Cavoretto mit einem hinterlistigen Blick.
»Das Tor des Teufels führt also in eine Bank…«, stellte Georg schmunzelnd fest. »Wie bezeichnend…«
»Ja, die Legende behauptet, die geschnitzte Doppeltüre sei ganz einfach über Nacht da gewesen, damals, vor über 200 Jahren. Die Turiner sprachen
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