Teufel - Thriller
erstreckte sich vor ihnen. »Sie waren lange nicht mehr hier.«
Der Advocatus Diaboli erwiderte ihr Lächeln. »Nun, ich nehme an, es hat sich nicht viel verändert, Dottoressa. Nur in amerikanischen Filmen gibt es hier Bücher- und Aktentresore mit dicken Glaswänden, deren Betreten lebensgefährlich sein kann… Oder hat plötzlich die Hochtechnologie im Archiv Einzug gehalten und ich weiß nichts davon?«
Dottoressa Zanolla lachte. »Wir kämpfen noch immer mit dem ganz gewöhnlichen Staub der Akten, durchbrennenden Neonröhren und Besuchern, die ihre Handys nicht ausgeschaltet haben.« Sie seufzte und schaute auf die Uhr. »Heute sind wieder alle siebzig Arbeitsplätze im Besuchersaal besetzt, und es fehlen uns zwei Mitarbeiter. Ich habe deswegen leider nicht allzu viel Zeit für Sie, Eminenz. Um ehrlich zu sein, gar keine.«
»Sie werden mich ganz schnell wieder los«, zwinkerte Bertucci der Archivarin zu. »Ich wollte meinen alten Freund Michele besuchen. Ist er da?«
»Kardinal Rossotti ist gerade in einer kurzen Besprechung, soviel ich weiß, aber ich bin sicher, er wird erfreut sein, Sie zu sehen. Darf ich Sie alleine lassen? Sie kennen ja den Weg.« Die Archivarin wies auf einen kleinen Tisch, der im Gang stand, voll geräumt mit Akten und Unterlagen. »Ich muss mich wieder meinen Besuchern widmen, so leid es mir tut. Aber vielleicht kann ich Ihnen demnächst bei einem Essen mehr von meinen Forschungen berichten? Es wird Sie sicher interessieren, ich verspreche Ihnen, Sie nicht zu langweilen.«
»Mit Vergnügen, Dottoressa«, gab Bertucci zurück, »Sie haben meine Nummer. Ich freue mich immer über eine anregende Unterhaltung bei einem guten Essen.«
»Das einzige Problem ist, Sie in Rom zu erwischen«, erwiderte die Archivarin und schaute Bertucci listig von der Seite an, während sie noch ein paar Stöße mit Akten auf ihren Arm lud. »Man sagt, Sie verbringen mehr Zeit in der Luft als an Ihrem Schreibtisch.«
»Da ist man Gott näher«, lächelte Bertucci, verabschiedete sich rasch und machte sich auf den Weg zum Büro von Kardinalbibliothekar Michele Rossotti, dem Leiter des Geheimarchivs. Sein offizieller Titel war »Archivar der Heiligen Römischen Kirche«, und Rossotti, im gleichen Jahr in den Vatikan gekommen wie Bertucci, bezeichnete sich scherzhaft immer als »Ewig Suchender« im wahrsten Sinne des Wortes. Die ersten gemeinsamen Jahre im Vatikan hatten die damals jungen Priester Rossotti und Bertucci zusammengeschweißt. Es war eine enge Freundschaft entstanden, die nun bereits seit Jahrzehnten die Intrigen, die Grabenkämpfe der Macht und insgesamt fünf Päpste überdauerte. Rossotti, Sohn einer reichen Mailänder Anwaltsfamilie und seit vier Jahren Leiter des Vatikanischen Archivs, war auch Mitglied der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. In dieser Funktion war er der Gegenspieler Bertuccis.
Er war der Advocatus Angeli.
Der Kardinal klopfte an der Tür, neben der auf einem einfachen Aluminiumschild »M. Rossotti« stand. Er wollte eine Antwort abwarten, aber es kam keine, und so trat Bertucci nach einem Augenblick des Zögerns ein. Das Vorzimmer war, entgegen aller Erwartungen, leer. Der Sekretär des Archivleiters schien wohl gerade unterwegs zu sein. Bertucci zuckte mit den Schultern und blickte etwas ratlos auf den Flatscreen des PC, auf dem sich das Vatikanische Siegel als Bildschirmschoner endlos in einem schwarzen Weltall ohne Sterne drehte. Es war völlig still hier, die lärmenden und fotografierenden Touristen schienen meilenweit entfernt zu sein. An der Tür zum Büro Rossottis hing ein »Bitte nicht stören«-Schild, das er und Bertucci vor langen Jahren anlässlich einer Konferenz in einem deutschen Fünfsternehotel mitgenommen hatten. Es zeigte einen kleinen, schlafenden Hund mit Zipfelmütze. Aber die Rückseite war es, die sie zu ihrer kleinen Sünde angestiftet hatte. Da stand nämlich in großen Blockbuchstaben »Bitte wecken!«.
Aus dem Büro nebenan war eine Stimme zu hören. Rossotti schien zu telefonieren, und so setzte sich Bertucci in einen der Besuchersessel, die entlang der Wand aufgereiht waren. Er schaute auf, und der Heilige Vater lächelte auf ihn herab, in Form eines lebensgroßen Porträts an der gegenüberliegenden Wand. Nur die Farben auf dem Foto schienen dem Zuckerguss einer italienischen Hochzeitstorte entlehnt worden zu sein.
Bertucci war ganz in seine Gedanken vertieft und so überhörte er, dass Rossotti sein Gespräch
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