Teufeliaden: Erzählungen (German Edition)
Sperrmaßnahmen der Nachbarregierungen lag, jedenfalls verbreitete sich die Seuche nicht weiter. Die Auslandspresse erörterte lautstark und gierig das in der Geschichte nie dagewesene Sterben, die Regierung der Sowjetrepubliken hingegen erhob keinerlei Lärm, sondern arbeitete unermüdlich. Die Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen die Hühnerpest wurde umbenannt in Außerordentliche Kommission zur Wiederbelebung und Anhebung der Hühnerzucht in der Republik. Nachdem sie durch drei außerordentliche Mitglieder ergänzt worden war, gehörten ihr nunmehr sechzehn Genossen an. Eine »Freiwillige Hühnerzuchtgesellschaft« wurde gegründet, und als Ehrengenossen des Vorsitzenden traten Persikow und Portugalow ein. Die Zeitungen brachten ihr Bild und Schlagzeilen: »Massenaufkauf von Eiern im Ausland« und »Mister Hughes will unsere Eierkampagne hintertreiben«. Aufsehen in ganz Moskau erregte ein giftiges Feuilleton des Journalisten Koletschkin, das mit den Worten schloß: »Schielen Sie nicht nach unseren Eiern, Mister Hughes, Sie haben selber welche !«
Professor Persikow hatte sich in den letzten drei Wochen völlig überarbeitet. Die Hühnerereignisse hatten ihn aus der Bahn geworfen und ihm eine zwiefache Last aufgebürdet. Ganze Abende mußte er an Sitzungen der Hühnerkommissionen teilnehmen und von Zeit zu Zeit lange Gespräche bald mit Alfred Bronski, bald mit dem mechanischen Dickwanst austragen. Gemeinsam mit Professor Portugalow und den Privatdozenten Iwanow und Borngart mußte er Hühner obduzieren und mikroskopieren, um den Pesterreger zu finden, und drei Abende hatte er damit zu tun, in aller Eile eine Broschüre zu schreiben: »Über Veränderungen in der Hühnerleber bei Pesterkrankung«.
Persikow arbeitete ohne besondere Begeisterung auf dem Hühnergebiet, verständlich, denn sein Kopf war ja voll von etwas viel Wichtigerem – dem, wovon die Hühnerkatastrophe ihn weggerissen hatte, dem roten Strahl. Er zerrüttete seine ohnedies angeknackste Gesundheit, indem er vom Essen und vom Schlafen Stunden abknapste und manchen Abend nicht in seine Wohnung ging, sondern auf dem Wachstuchsofa in seinem Arbeitszimmer im Institut schlief. Nächtelang machte er sich mit dem Gehäuse und dem Mikroskop zu schaffen.
Ende Juli ließ die Hetze ein wenig nach. Die Tätigkeit der umbenannten Kommission mündete in normale Bahnen, und Persikow kehrte zu seiner unterbrochenen Arbeit zurück. Die Mikroskope wurden mit neuen Präparaten beschickt, und im Gehäuse reiften unter dem Strahl mit sagenhafter Schnelligkeit Fisch- und Froscheier. Aus Königsberg trafen mit einem Aeroplan eigens bestellte Glasplatten ein, und in den letzten Julitagen montierten Mechaniker unter Iwanows Aufsicht zwei neue große Gehäuse, in denen der Strahl an seinem Ursprung die Stärke einer Zigarettenschachtel erreichte und an seinem Ende einen Meter im Durchmesser streute. Persikow rieb sich freudig die Hände und rüstete zu geheimnisvollen, komplizierten Versuchen. Vor allem verständigte er sich telephonisch mit dem Volkskommissar für Volksbildung, und der Hörer quäkte ihm die liebenswürdige Zusage allseitiger Unterstützung ins Ohr, dann rief Persikow den Genossen Vogelferkow an, den Leiter der Abteilung Tierzucht bei der Obersten Kommission. Auch bei ihm fand er wärmste Aufmerksamkeit. Es ging um eine größere Bestellung im Ausland. Vogelferkow versprach, sogleich nach Berlin und New York zu telegraphieren. Sodann erkundigte sich der Kreml, wie die Dinge stünden, und eine gewichtige Stimme fragte freundlich, ob Persikow nicht ein Automobil benötige.
»Nein, danke. Ich ziehe es vor, mit der Straßenbahn zu fahren«, erwiderte Persikow.
»Aber warum denn?« fragte die geheimnisvolle Stimme und lachte nachsichtig auf.
Überhaupt, wer mit Persikow sprach, tat es entweder mit Respekt und Entsetzen oder aber mit freundlichem Auflachen wie bei einem kleinen, wenn auch schon großen Kind.
»Weil sie schneller fährt«, antwortete Persikow, worauf der klangvolle Baß im Telephon versetzte: »Nun, wie Sie wollen.«
Eine weitere Woche verging, und Persikow, der sich von den verstummenden Hühnerfragen immer mehr entfernte, war ganz in das Studium des Strahls versunken. Die Übermüdung durch viele schlaflose Nächte machte seinen Kopf hell, luzide und leicht. Seine Augen waren ständig rotgerändert, und er nächtigte fast nur noch im Institut. Einmal verließ er den zoologischen Hort, um im riesigen Saal der Zekubu
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