Teufels-Friedhof
Daß sie dabei zu einer Nahrung werden konnten, das erfaßten sie nicht. Manche Spalten waren eben so prägnant, um von den Ratten ignoriert zu werden.
So blieben sie an gewissen Stellen stehen, schnüffelten und atmeten den schwefligen Rauch ein, der aus den Spalten kroch. Sehr lange konnten sie sich nicht mehr halten. Das Gas wirkte so stark wie ein Betäubungsmittel, dem die Ratten nicht widerstehen konnten. Wo sie standen und schnüffelten, kippten sie auch um, zuckten noch einmal mit den Pfoten, um dann tot liegen zu bleiben. Das geschah nicht nur mit einer oder zwei Ratten, nein, gleich Dutzende dieser Nager erwischte es.
Und irgendwo paßte es auch zu diesem grauenvollen Totenacker. Nebel, Schwefelgeruch, Modergestank, alte, verwitterte Grabsteine und die toten Ratten.
Hier konnte der Teufel Feste feiern.
Fehlte nur noch ein Opfer — der Mensch, das angeblich höchste aller Wesen.
Der würde bald folgen, noch in dieser Nacht…
***
Wir hatten zwar oft mit dem Teufel zu tun, aber manchmal sitzt er auch im Detail, wie man so schön sagt. So jedenfalls kam es uns vor, denn Kommissar Berger hatte es nicht rechtzeitig geschafft, zu uns zu kommen. Seine Verspätung war dienstlich begründet gewesen, und als wir uns schließlich trafen, waren wir fast zwei Stunden über die Zeit, was Suko und ich doch mit Besorgnis registrierten, ebenso wie Jörg Berger. Auf der Fahrt zum Ziel entschuldigte er sich mehrere Male, aber es war nun nicht zu ändern.
In Richtung Nordwesten rollten wir. Zunächst durch eine fast leere Dortmunder Innenstadt — die Kälte hatte die Menschen von den Straßen vertrieben —, dann weiter über eine Brücke, bevor wir in ein altes Wohn-und Industriegebiet abbogen, das sich fast bis hin in den Vorort Huckarde zog, wie ich auf einem Straßenschild hatte lesen können. An einer Baustelle mußten wir langsamer fahren und sahen auch im bleichen Scheinwerferlicht das Eis glitzern.
Später sahen wir auf der rechten Seite das Zechengelände. An einer Ampel bogen wir in diese Richtung ab, stets in Sichtweite des mächtigen Förderturms.
»Die Disco liegt aber verdammt einsam«, meinte Suko, der fuhr und sich an die Beschreibungen des neben ihm sitzenden Kommissars hielt.
»Ja, da sind sie unter sich.«
»Bin gespannt, was dieser Oschinski sagen wird, wenn wir ihn nach dem Blut fragen.«
»Er streitet es möglicherweise ab.«
Suko hob die Schultern. »Wissen Sie, wo er wohnt, Jörg?«
»Nicht genau, aber in der Nähe.« Berger räusperte sich. »Ich glaube schon, daß wir ihn im Satanstreff stellen können. Der Freitagabend ist seine Zeit, da beginnt für ihn das teuflische Weekend.«
»Das wir ihm verderben werden«, meldete ich mich vom Rücksitz her.
»Ich habe nämlich etwas gegen Wochenenden mit dem Satan, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Sehr gut sogar.«
In den folgenden Minuten schlief unsere Unterhaltung ein, weil Berger Suko erklären mußte, wie er zu fahren hatte. Die alten Häuser verschwanden immer mehr, und die Scheinwerfer geisterten, wenn sie von der Straßenfläche abirrten, über brach liegendes Zechengelände. Die Fahrbahn selbst war nicht sehr gut. Oft genug zeigte sie ein rauhes Muster, wenn sie durch Schlaglöcher oder irgendwelche Querrillen aufgerissen war.
Dunst lag wie dünne Watte über der Fahrbahn. In diese Gegend verirrten sich nur selten Fahrzeuge. Ich wunderte mich darüber, daß wir keinen Disco-Gästen begegneten. Darauf hatte der Kommissar eine passende Antwort.
»Die sind längst alle eingetroffen, John. Sie haben ein bestimmtes Ritual.«
»Und wann schließt der Laden?«
Er hob seine Schultern. Bei dieser Bewegung schauten die Rundungen über die Lehne des Vordersitzes hinweg. »Zumeist in den frühen Morgenstunden, dann haben sie genug. Erst am nächsten Tag kommen sie wieder.«
»Und immer am Wochenende?«
»Richtig.«
Suko mußte langsamer fahren, weil der Dunst sich zu einer Nebelwand zusammengezogen hatte. Mir kam es vor, als hätte diese Wand etwas zu verbergen, und das merkte ich plötzlich, als sich an meiner Brust das Kreuz erwärmte.
Es war nur ein kurzer Strom, heiß, aber nicht verbrennend, doch sehr genau zu spüren. »Halt an, Suko!«
»Weshalb?«
»Anhalten!«
Mein Freund konnte nicht einfach voll in die Bremse steigen. Er mußte die rutschige Fahrbahn mit in Betracht ziehen. Sehr vorsichtig spielte er mit dem Bremspedal und ließ den Leih-BMW langsam ausrollen. Auch unser deutscher Kollege wunderte sich darüber.
Weitere Kostenlose Bücher