Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
fühlen, sollten Sie das genau abwägen.«
»Es hat mich keiner bedroht«, beteuerte Sybille, aber Sabine schüttelte sanft den Kopf und lächelte.
»Drohungen sind nur eine Möglichkeit. Es geht auch subtiler. Trat der Mann selbstsicher auf, war er autoritär, hat er Ihnen eine finanzielle Offerte gemacht oder darauf angespielt, dass Sie gegen ihn ohnehin keine Chance hätten? Eine ganze Palette von Möglichkeiten. Hat der Mann sich eigentlich vorgestellt?«
»Nein, jedenfalls nicht mir. Aber er muss mit dem Jungen in Verbindung stehen.«
»Kennen Sie eigentlich seinen Namen?«, fragte Doris mit zusammengekniffenen Augen. »Wegen Facebook, meine ich. Da muss man sich doch anmelden.«
»Da kann man alles Mögliche reinschreiben«, sagte Sybille. »Und nein, ich kenne den Namen nicht, und auf dem Profil sind auch keine Fotos. Vielleicht hat er es sich nur zugelegt, um mich zu kontaktieren.«
»Okay, danke«, entgegnete Sabine und wechselte einen Blick mit Doris, in dem die beiden sich darauf verständigten, vorläufig am Ende ihrer Befragung zu sein. Die beiden standen auf, Sybille tat es ihnen gleich.
»Treffen wir Ihre Mutter im Geschäft an, wenn wir jetzt direkt dorthin fahren?«, fragte Doris.
»Warum müssen Sie denn jetzt auch noch mit ihr reden?«, fragte Sybille erschrocken.
»Nur der Vollständigkeit halber. Immerhin hatte sie ja einige Minuten länger mit dieser Person zu tun, die Sie aufgesucht hat. Das müssen wir schon prüfen, aber wir gehen behutsam vor«, versicherte Sabine.
»Bitte kündigen Sie uns nicht an, um sie nicht noch mehr zu erschrecken«, fügte Doris hinzu.
Sobald die Haustür geschlossen und sie außer Hörweite waren, sagte Sabine grinsend zu ihrer Kollegin: »Du bist ja fies. Als ob es einen Unterschied macht, ob sie ihre Mutter vorwarnt oder nicht.«
»Ja, aber wer sich so besorgt gibt«, konterte Doris, »den muss man doch ernst nehmen. Ich wette, sie sitzt jetzt grübelnd auf der Couch, das Telefon in der Hand, und zermartert sich den Kopf, was sie tun soll.«
Dienstag, 15:25 Uhr
J ulia Durant machte vor ihrer Rückkehr ins Präsidium in ihrer Wohnung unweit des Holzhausenparks halt. Schief, mit dem Hinterrad auf dem Bordstein, parkte sie den Peugeot in der einzigen Parklücke. Egal, ich bleibe ja nicht lange, dachte sie, als sie den Wagen verriegelte und in Richtung des hübsch anzusehenden Altbaus eilte. Sie holte die Post aus dem Briefkasten und nahm sie beim Hinaufeilen der Treppe hastig in Augenschein. Doch wie so oft war nichts Wichtiges dabei. Julia nahm ein Infoschreiben ihrer Versicherung zur Kenntnis, interessierte sich jedoch nicht sonderlich für den Inhalt. Die Tarife würden nicht billiger werden, und niemand würde sich darüber beschweren, wie üblich. Einen Brief von der GEZ, der auf den Namen Julia Döring ausgestellt war, aber die korrekte Anschrift trug, öffnete sie gar nicht erst, sondern ärgerte sich lediglich darüber, weil sie solche Fehler für vermeidbar erachtete. Seit Jahren war sie registriert und zahlte die Gebühren, auch wenn sie sich nicht selten fragte, wofür.
Die Kommissarin schloss die Wohnung auf, schob sich in den Flur und kickte die Tür mit dem Absatz zu. Sie warf im Vorbeigehen ihre Tasche auf die Couch und ging zielstrebig zum Kühlschrank, dabei beförderte sie den Großteil des Briefkasteninhalts in den Mülleimer. Sie schmierte sich zwei Scheiben Brot mit Butter, verteilte großzügig sechs Salamischeiben darauf und hätte beinahe zwei weitere gegriffen, bremste sich dann jedoch. Wenn du mal wieder die zehn Kilometer Jogging schaffst, dachte sie bei sich, kannst du dir das auch wieder gönnen. Stattdessen griff sie das Gurkenglas und balancierte es mitsamt dem Brotteller in Richtung Wohnzimmer.
Wie so oft in den zurückliegenden Stunden zog Julia das Handy aus ihrer Tasche und betrachtete prüfend das Display. Doch es gab keine neue Nachricht, und so lehnte sie sich für einige Minuten zurück, um zu Kräften zu kommen und ihre belegten Brote zu essen. Dabei dachte sie unentwegt an Michael Cramer, Marion Kühne und Lutz Wehner. Log die Kühne, um Wehner ein Alibi zu verschaffen? War Michael tatsächlich ein verunsicherter junger Mann, dem die Gewaltspirale über den Kopf gewachsen war und der nun die Notbremse gezogen hatte, oder handelte er aus eiskaltem Kalkül? Diese Frage drängte sich in den Vordergrund, und sosehr sich die Kommissarin auch darum bemühte, an ein Abschalten war nicht zu denken. Michaels Vater war
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