Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
erkundigte sich Sabine.
»Das müssen Sie schon selbst herausfinden«, sagte Frau Kühne leise und klang dabei resigniert, beinahe so, als habe sie keine Hoffnung darauf, dass überhaupt jemand für die Tat zur Rechenschaft gezogen würde.
Julias Handy piepte, eine SMS. Gerade rechtzeitig, dachte sie und erhob sich. »Bitte entschuldigen Sie mich kurz.«
Zwei Minuten später kehrte sie zurück, Sabine Kaufmann saß noch immer am Couchtisch, während Frau Kühne mit einer halb aufgerauchten Zigarette in der Hand am Fenster stand und schweigend in die Ferne blickte. Sabine schüttelte kurz den Kopf und gab Julia damit zu verstehen, dass keine weitere Unterhaltung stattgefunden hatte, jedenfalls nichts, was von Relevanz wäre.
»Muss ich eigentlich in die Gerichtsmedizin, um Martin zu identifizieren?«, fragte Marion kleinlaut, und man sah ihr an, dass allein der Gedanke daran ihr deutliches Unbehagen bereitete.
»Nein, das müssen Sie nicht«, beruhigte Sabine sie, doch damit schien die Frau noch nicht zufrieden zu sein.
»Warum nicht? Ich bin doch die einzige Angehörige.«
»Frau Kühne, ich möchte Ihnen diese Details gerne ersparen …«
»Nein, reden Sie schon.« Sie wandte sich wieder ihren beiden Besucherinnen zu, griff im Umdrehen einen kleinen Porzellanbecher, in dem sie ihre Zigarette ausdrückte. Fordernd haftete ihr Blick auf Sabine Kaufmann.
»Na gut«, gab diese sich geschlagen und versuchte, ihre folgende Erklärung so sachlich und schnell wie möglich herunterzuspulen. »Es ist so, dass der Leichnam völlig verkohlt ist. Da ist nicht viel zu sehen, es tut mir leid, wenn ich das so direkt sagen muss. Aber wir haben die Blutgruppe, welche aus einem alten Impfausweis hervorging, sowie die beiden auffälligen Goldzähne, die Sie identifiziert haben. Das lässt sich bei Bedarf zahnärztlich abgleichen. Ich habe außerdem die Info, dass unsere Pathologin wider Erwarten den Teilabdruck eines kleinen Fingers auswerten konnte. Diese Faktoren zusammen mit dem biologischen Alter sowie den äußeren Merkmalen Geschlecht, Statur und Kopfform genügen uns vorerst, um sicher zu sein. Die genetische Analyse wird das Ergebnis letzten Endes nur untermauern.«
»Hm.« Gefasster als erwartet lief Frau Kühne, den Aschenbecher in der Hand, hinüber zum Regal, wo ihre Zigaretten lagen. Ohne einen weiteren Kommentar entzündete sie sich einen weiteren Glimmstengel, diesmal legte sie die frisch angebrochene Packung nicht zurück, sondern brachte sie mit an den Tisch. Im Setzen hielt sie den aufgeklappten Karton mit einem auffordernden Nicken in Richtung der beiden Kommissarinnen.
»Danke, nein«, erwiderte Sabine lächelnd.
»Für mich auch nicht«, lehnte Julia mit einem raschen Winken ebenfalls ab. Dabei konzentrierte sie sich auf ihr verborgenes Ich, die innere Raucherin, die es an manchen Tagen so sehr nach dem Geschmack und dem Aroma einer Gauloise gelüstete, und auf das zweite Ich, welches dieser Angewohnheit vor über einem Jahr endgültig abgeschworen hatte. Die beiden Stimmen kämpften gelegentlich miteinander, aber zu Julias großer Erleichterung hatte sich die vernünftige Stimme bislang stets als die lautere erwiesen.
»Haben Sie noch weitere Fragen oder könnten Sie mich nun bitte alleine lassen?«, fragte Marion Kühne unvermittelt. Ihre Mimik war nicht abweisend, aber es war kaum zu übersehen, dass sie im Begriff war, sich zu verschließen. Selbstschutz, ein völlig natürlicher Prozess, sagte sich Julia, insbesondere bei einer Frau mit ihrem Hintergrund. Nur allzu gerne hätte sie mehr über die Hintergründe der Vergewaltigung vor fünfzehn Jahren erfahren, doch sie spürte, dass sie da im Moment wohl nicht weit käme. Außerdem gab es noch etwas anderes, derzeit möglicherweise Wichtigeres, zu hinterfragen.
»Natürlich, wir werden Sie nicht länger in Anspruch nehmen als nötig«, versicherte Sabine, während Julia noch in Gedanken war.
»Ich hätte noch etwas«, klinkte sich die Kommissarin nun ins Gespräch ein. »Sie haben vorhin erwähnt, Probleme in Ihrer Kindheit gehabt zu haben. Würden Sie mir erklären, was genau Sie damit gemeint haben?«
»Das ist schnell gesagt«, erwiderte Frau Kühne und sog ein weiteres Mal gierig an dem weißen Filter, auf dem ihre ungeschminkten Lippen keine Färbung hinterließen. »Unsere Erzeuger«, sie betonte das zweite Wort abfällig, »haben sich nicht sonderlich für uns interessiert. Das ist wohl noch geschmeichelt, aber für all die traurigen
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