Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
wissen.«
»Jedenfalls nicht, wenn Sie nicht ordentlich aufräumen«, grinste Brandt und hob das Kinn in Richtung Bankentürme. »Der Fall vom letzten Winter hat auch in Offenbach Beachtung gefunden, es ist ja nicht so, dass wir uns völlig abkapseln.«
»Stichwort abkapseln«, entgegnete die Kommissarin, »wie wollen wir dieser Verlobten denn gegenübertreten?«
»Weiß nicht, mal sehen, wie sie so drauf ist. Ich finde es jedenfalls hilfreich, dass die Benachrichtigung bereits überbracht wurde. Nicht gerade mein Lieblingsjob, muss ich zugeben.«
»Meiner auch nicht«, gestand Julia ein.
Der Grund, warum sie Brandt diese Frage gestellt hatte, war jedoch ein anderer. Damals, bei ihrer gemeinsamen Ermittlung, hatte sie ihn als Taktiker kennengelernt, der nicht gerade zimperlich vorgegangen war bei der Vernehmung von Verdächtigen. Der Erfolg hatte für sich gesprochen, keine Frage, aber anders als bei ihren langjährigen Kollegen wusste Julia nicht, wie gut sie sich im Verlauf eines Gesprächs auf ihn einstellen konnte. Diese Ungewissheit bereitete ihr Schwierigkeiten, denn sie wollte sich mit ihrer Empathie auf die Frau konzentrieren und nicht auf ihren Kollegen.
»Ich schlage vor, Sie übernehmen den Anfang, weil es Ihr Revier ist«, sagte Brandt unvermittelt. »Wenn sie sich Ihnen gegenüber nicht kooperativ zeigt, mische ich mich ein. Ob sanft oder hart, sehen wir dann, es kommt immerhin darauf an, in welcher Trauerphase sie sich befindet, und nicht zuletzt, was für ein Typ sie ist. Gewöhnlich ergibt sich meine Strategie aus dem Bauch heraus, je nachdem, ob Papa Bär oder der böse Schuldirektor gefragt ist.« Brandt zwinkerte grinsend.
»Rollenspiele also.« Erleichtert hob Julia die Augenbrauen. »Na, dafür sind Sie hier ja im richtigen Viertel.«
Ruslana Mitrov empfing die Kommissare mit einem aufgesetzten Lächeln und erkannte offensichtlich sofort, dass es sich bei den beiden nicht um potenzielle Kunden handelte. Der Laden – ein schmales, unauffälliges Geschäftshaus, eingequetscht zwischen einer Spielhölle und einem Club – war eine Kombination aus Tätowierstube und Nagelstudio. In Nebenräumen summten die Nadeln, irgendwo stöhnte eine gequälte Stimme, und aus einem anderen Winkel, hinter einem zur Hälfte geschlossenen Vorhang, bewunderte eine junge Frau mit üppiger Dauerwelle und riesigen Ohrringen gerade ihre neu gestalteten Fingernägel. Einer Hinweistafel zufolge gab es im oberen Geschoss Sonnenbänke und Massagestudio, wobei jener letzte Hinweis mit einem dunklen Marker durchgestrichen war. Den fragenden Blick der Kommissarin auf das Schild durchschauend, kommentierte die attraktive, wenn auch etwas zu auffallend gestylte und geschminkte Mittvierzigerin: »Massage verstehen hier viele falsch. In anderen Häusern steht das für einen schnellen Fick, doch so etwas gibt es hier nicht. Wir sind ein anständiges Etablissement.«
Ihre Aussprache hatte einen eindeutig osteuropäischen Einschlag, die Grammatik jedoch war tadellos. Der Klang ihrer Stimme war tief und rauchig, Peter Brandt empfand sie als angenehm sinnlich, Julia hingegen musste unwillkürlich an eine der Telefonsex-Stimmen aus späten Werbespots denken, die einem beim Zappen im Spätprogramm auf manchem Sender begegneten. Im Hinterzimmer bat Frau Mitrov ihre Besucher, sich zu setzen, und bot ihnen etwas zu trinken an, was beide dankend ablehnten.
»Ich habe Ihren Kollegen bereits alles gesagt.«
Ruslana zuckte mit hilflosem Gesichtsausdruck die Schultern und zupfte sich anschließend an ihrer Bluse herum, obgleich diese wohl kaum einen Millimeter mehr rutschen konnte. Unter dem durchsichtigen Weiß zeichnete sich ein dunkler Spitzen-BH ab, und die darin verborgenen Brüste waren prall und von beachtlicher Dimension. Ein üppiges Dekolleté lag unter den weit auseinanderstehenden oberen Knöpfen der Bluse, und die Kommissarin vermutete, dass bei dieser Oberweite chirurgisch nachgeholfen worden war. Hierfür fehlte Julia jedes Verständnis. Doch solange es Männer gab, die ausreichend Geld besaßen und genügend Macht, um die Schönheitsideale von Frauen nach ihrem Wohlgefallen zu definieren, würde es auch Frauen geben, die sich diesen Torturen unterzogen. Und Ärzte, die ihr Berufsethos den Bankkonten ihrer Patienten anpassten. Sie ließ ihren Blick über die weichen Gesichtskonturen der attraktiven Brünetten wandern, sie hatte eine schmale Nase, ausgeprägte Wangenknochen, kleine, anliegende Ohren und einen
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