Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
lehnte sie an der Hausecke und ließ sich die wärmende Sonne auf die Nase scheinen. Die Pathologin hatte kaum ihren vierzigsten Geburtstag hinter sich, sah unglaublich gut aus, und Julia Durant vermutete, dass das zum Teil daran lag, dass es einen neuen Mann in ihrem Leben gab. Ob das stimmte und wer der Glückliche war, sie hatte keinen blassen Schimmer. Bei Gelegenheit würde sie Andrea einmal auf den Zahn fühlen, aber nicht jetzt, sondern erst wenn der laufende Fall abgeschlossen war. Um nichts in der Welt wollte die Kommissarin gegenüber Peter Brandt in Verlegenheit kommen, denn obgleich er eine augenscheinlich glückliche Beziehung mit Staatsanwältin Klein führte, war seine umso unglücklichere Trennung von Andrea ein düsteres Kapitel, in das Julia nicht hineingezogen werden wollte. Auf meiner Main-Seite gibt’s genug zwischenmenschliche Probleme, dachte sie resigniert, als ihr Sabine Kaufmann in den Sinn kam. Sabine und ihre betreuungsintensive Mutter, die sich permanent im Strudel tiefgreifender Psychosen befand. Ob das noch lange gutging?
»Das ist sie?«, wisperte Michael, und Julia nickte.
»Ja. Ich habe doch gesagt, sie ist eine ganz Sympathische.«
»Hey, da seid ihr ja«, winkte Andrea und versenkte ihre Zigarette zischend in dem Kaffeebecher, den sie anschließend im Papierkorb entsorgte. »Sievers, Rechtsmedizin«, fügte sie hinzu und reichte Michael die Hand.
»Mike Cramer.«
»Schön, dass du mir mal zur Abwechslung einen Typen anschleppst, der noch laufen kann«, scherzte Andrea, und Julia bemerkte sofort Michaels befremdeten Blick.
»Andrea!«, zischte sie grinsend.
»Na, was denn, stimmt doch«, beharrte diese und zwinkerte. »Die meisten liegen regungslos und blass in einer Zinkbüchse, bestenfalls am Stück. Da bildet unser junger Freund hier doch mal eine angenehme Abwechslung. Hast du ihn schon vorbereitet?«
»Falls du auf deinen morbiden Humor anspielst, dann ja«, bestätigte die Kommissarin schmunzelnd. »Den Rest überlasse ich dir.«
»Okay, dann Folgendes.« Andrea Sievers blickte Michael prüfend an, und ihre Miene war nun vollkommen ernst. »Schon mal einen Toten gesehen?«
»Ähm, nein.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht in echt.«
»An und für sich nichts Ungewöhnliches, ganz im Gegenteil«, sagte die Rechtsmedizinerin. »Wenn du CSI oder so etwas gesehen hast, kennst du ja die Schnitte, die am Körper durchgeführt werden. Unser Mann hat zudem ein intaktes Gesicht, das ist für die meisten das Wichtigste, denn dann kann man seiner Psyche vorgaukeln, dass der Tote nur schläft. Wenn wir da jetzt reingehen, genügt ein kurzer Blick. Er ist zugedeckt bis zur Brust, die Augen sind geschlossen. Schau ihn dir an, dann gehen wir weiter, und hinterher sagst du uns, ob es der Mann ist, der dir an besagtem Abend gegenübergestanden ist. Bekommst du das hin?«
»Weiß nicht.« Michael schluckte. »Ich hab von seinem Gesicht nur einen kleinen Teil gesehen«, ergänzte er leise, und seine Stimme bebte leicht.
»Wir versuchen es trotzdem, okay?«
»Hm.«
Sie betraten den Raum, es roch nach Zitronenspray, was Julia sehr zu schätzen wusste. Üblicherweise verwendete Andrea keinen Lufterfrischer, sie hatte es also nur wegen des Jungen gemacht. Auf einer Metallbahre ruhte der leblose Körper von Johannes Grabowski, wie angekündigt lag ein türkisfarbenes OP-Tuch auf ihm, welches von den Waden bis über die Brustwarzen reichte. Das Kinn ragte erhaben nach oben, vom Gesicht war noch nichts zu sehen, während sie den Tisch umrundeten. Julia beobachtete, wie Michael tapfer, aber äußerst angespannt, den Blick gebannt auf den Toten richtete. Als er die Schultern passierte, hielt er kurz inne, seine Hand wanderte vor den Mund, und Andrea zuckte erschrocken, offenbar in Sorge, dass Michael sich auf den Körper erbrach. Doch er hauchte nur ein leises »Oh Gott« und schritt weiter. Die beiden Frauen folgten ihm, sie betraten ein kleines Büro, von dem aus man den Vorraum einsehen konnte. Julia wandte sich daher um und drückte mit der Ferse gegen das Türblatt, welches daraufhin zuglitt und klickend ins Schloss rastete.
»Es überwältigt einen doch, wie?«, brach Andrea einfühlsam das Schweigen, und Michael nickte stumm.
»Handelt es sich denn um den besagten Motorradfahrer?«, fragte die Rechtsmedizinerin nach einigen Sekunden.
»Ja, ich denke schon.«
»Danke. Können wir dich kurz allein lassen?«
»Klar.«
»Komm noch mal mit, bitte«, wandte Andrea sich an die
Weitere Kostenlose Bücher