Teufelsberg: Roman (German Edition)
glasigen Soße und fütterte Friedrich mit dem gelbgrünen Brei. Etwas davon blieb am Kinn hängen. Falko schabte den Brei mit dem Löffel von der Haut.
»Du machst alles richtig, und trotzdem ist da auf einmal so ein Schlamassel. So ein großes, surrendes Schlamassel, das über deinem Kopf schwebt. Du tust so, als wäre nichts, gehst ins Borchardts, stehst auf Empfängen rum, beschenkst die eine Tussi und vögelst die andere, berätst die Investoren, aber immer ist es da, das Schlamassel. Wie ein wütender Gott. Und es wird immer größer, und dein Leben wird immer kleiner. Es hatte schon längst keine Mitte mehr, du lebst auf einer dünnen, brüchigen Schale und fühlst sie vibrieren und weißt, dass du jederzeit einkrachen kannst. Aber die ganze Zeit glaubst du noch. Betrüger sind Gläubige, Kommissar. Sie fangen irgendwas an und hoffen, dass Gott es zu Ende bringt. Aber der Scheißer hält sich raus. Also versuchst du selbst, das Wunder zu vollbringen, mit irgendwelchen Tricks. Eigentlich ist Berlin an allem schuld. Mein Chef hat mich hingeschickt, kurz nach der Wende, der Rutherford-Hemmings. Ja, genau, der Schöpfer der Cardea, damals noch ohne Sir. Er hatte damals in Frankfurt sein Büro, und er wollte den Friedrichstadtpalast wieder aufbauen, den alten, neben dem BE. Der Bau war auf zwölf Millionen projektiert, der Berliner Senat lehnte ab. Ich sollte hin und die Mappe abholen. Es war das erste Mal, dass ich flog. Ich war enttäuscht. Die Welt war von oben so verwischt. Und Berlin war so legosteinfarben. Die gelbe U-Bahn, der blaue Himmel, der rote Fehrbelliner Platz. Dann diese Typen im Bausenat mit ihren zu kurzen Krawatten und den gestutzten Vollbärten, ich konnte sie nicht ernst nehmen. Die Typen erinnerten mich an die Fertighaushändler meiner Kindheit, die mein Vater mit Steckelementen belieferte. Und statt ins Big Eden am Ku’damm zu gehen, schrieb ich nachts im Hotel das Konzept um: Der alte Friedrichstadtpalast sollte als Markthalle aufgebaut werden, was er ja ursprünglich war, und die Finanzierung sollte über den Immobilienfonds der Berliner Bankgesellschaft laufen, also Gewinn bringen. Zack, hatte Rutherford-Hemmings den Zuschlag. Es war so einfach. Die Markthalle kennst du doch? Hat Preise gekriegt ohne Ende. Und ich war plötzlich Finanzexperte. Und dann Wirtschaftsberater in Benin und im Vorstand von Alpha Bridge, einer Privatbank in Dubai. Die ist ja pleite, wegen mir. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke. Es muss herrlich sein, ohne Gedächtnis zu leben, so wie du, Kommissar. Du kannst noch mal ganz von vorn anfangen. Ich beneide dich, ich kann das nicht. Die Knastblässe werde ich nie wieder los; ich meine nicht die Blässe der Haut, ich meine die Blässe der Seele. Die Farben sind für immer weg. Mein Innerstes ist wie Ostberlin, alles bröckelig, alles grau. Aber da kommt keine Wende mehr. Da bleibt die Mauer für immer stehen. Innerlich habe ich rübergemacht, bloß in die falsche Richtung.«
Die Küchenfrau kam zurück ins Zimmer, sie räumte das Geschirr ab und stellte es auf den Transportwagen im Flur.
»Möchten Sie den Nachtisch für später aufheben?«, fragte sie mit ihrem polnischen Akzent, bevor sie die noch vollen Glasschälchen abräumte.
»Nee«, brummte Falko.
»Sie müssen noch die Bögen für die nächste Woche ausfüllen«, sagte sie und zeigte auf die Menülisten von Gustomat, die neben dem Tisch auf dem Regal lagen.
»Machen wir.«
Als sie weg war, ging Falko die Bögen durch und kreuzte die Mahlzeiten an. Man konnte zwischen drei Menüs wählen, Vollkost, Schonkost und vegetarisch.
»Was willst du nächste Woche essen, Kommissar? Montag die Käsespätzle. Dienstag das Champignonragout. Muss sein, die Bratwurst kaust du ja doch nicht. Mittwoch die Erbsensuppe. Donnerstag das Putengeschnetzelte mit Nudeln, das Fleisch lässt du weg. Freitag Rotbarschfilet, kann man matschen. Samstag serbischer Bohneneintopf mit Grießklößchen. Sonntag Broccolitörtchen mit Soße Hollandaise. Hier steht tatsächlich Soße, nicht Sauce. Soll ich dir mal was gestehen? Ich habe mich nie an die Haute Cuisine gewöhnt. Ich bin glücklich mit Schweineschnitzel und Pommes. Das Zeugs, das man isst, wenn man reich ist, das war nichts für mich. Meine Eltern hatten ihr Wohnzimmer mit Holz ausgekleidet, weil sie das für gemütlich hielten, und da stand ein Polstersofa aus braunem Rips und ein gekachelter Couchtisch, und es roch nach Bratensoße und Socken, und im Regal
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