Teufelsberg: Roman (German Edition)
wieder gesund bin.«
»So schnell erholt man sich aber nicht von einer Depression.«
»Es war nur eine kleine Krise. Ich will gleich gehen. Ich habe schon alles gepackt.« Er zeigte auf die schwarze Tasche, die auf dem Bett stand.
Vosskamp rieb seine Handflächen aneinander. »Das kann ich nicht verantworten, Herr Sprenger.«
»Macht nichts, ich gehe auf eigene Verantwortung.«
Vosskamp studierte weiter Falkos Akte. »Sie bekommen Fluoxetin«, sagte er. »Das ist ein SSRI.«
»Ja, und es wirkt fantastisch. Sie haben mir genau das Richtige verschrieben.«
»Das hoffe ich«, murmelte Vosskamp. »Allerdings setzt die antriebssteigernde Wirkung lange vor der stimmungsaufhellenden Wirkung ein.«
»Stimmt, ich fühle mich wieder viel energiegeladener.«
»Und genau das ist so heikel. Es ist paradox, aber erst durch das Antidepressivum finden manche Patienten die Kraft, sich das Leben zu nehmen. Ich kann Sie so nicht gehen lassen. Wir müssen Sie noch ein paar Wochen dabehalten, bis sich auch die stimmungsaufhellende Wirkung des Medikamentes entfaltet.«
»Aber ich bin doch freiwillig hier«, rief Falko. »Ich darf auch jederzeit gehen!«
»Nicht bei Suizidgefahr. Wenn Sie nicht bleiben wollen, Herr Sprenger, werde ich Sie zwangseinweisen. Dann müssen Sie auf die geschlossene B, und morgen kommt der Amtsrichter.«
Falko sprang auf. »Ich bin nicht gefährdet!«
»Sie sind sehr erregt«, sagte Vosskamp und zog die Stirn in Falten. »Sieht nach Serotonin-Syndrom aus. Das kann gefährlich werden. Wir stellen Sie besser unter Beobachtung.«
»Verdammt, ich habe die Tabletten doch gar nicht geschluckt«, entfuhr es Falko, »ich habe sie alle ins Klo geschmissen.«
»Ohne Tabletten finden die wenigsten aus einer schweren Depression heraus. Sie sollten die wirklich nehmen.«
»Aber ich will nicht!«, schrie Falko.
»Wir machen hier gute Erfahrungen mit Fluoxetin. Sie müssen sich nicht davor fürchten. Und wenn Sie es nicht vertragen sollten, stellen wir Sie selbstverständlich auf ein anderes Medikament ein.«
Falko trat ans Fenster. Er sah Fingerabdrücke an der Scheibe, sie hingen wie Schleierfetzen vor der Landschaft. Der Himmel war klar bis auf das Gitter der Kondensstreifen, das die Flugzeuge hinterlassen hatten. Falko fuhr die Streifen mit den Augen ab, immer wieder von vorn, bis sie sich auflösten. Dann drehte er sich zu Vosskamp um. Er ballte die Fäuste.
»Gut, Herr Professor. Wenn Sie das so sagen. Ich vertraue Ihnen.«
»Das freut mich. Aber bleiben Sie heute bitte auf Station.« Vosskamp stand auf und reichte Falko die Hand.
»Zur philosophischen Sonntagsrunde heute Abend darf ich doch gehen?«, fragte Falko. »Ich will Ihren Vortrag nicht verpassen.«
»Wenn Sie bis dahin ruhiger sind.«
»Worüber reden Sie eigentlich?«
»Über das Innerste«, sagte Vosskamp, ohne eine Miene zu verziehen. »Zur konzentrischen Metapher der Selbstfindung.« Er verließ das Zimmer.
Eine Weile stand Falko einfach nur da. Ein paarmal zeigte er auf die Tür und drehte sich um, zu Friedrich, dann ließ er den Arm wieder sinken.
»Xaver und ich sind aufgeflogen«, flüsterte er vor sich hin. »Deshalb war Vosskamp so angepisst. Hoffentlich kriegt Xaver keinen Ärger. Ich kann jetzt nichts mehr für ihn tun.«
Er drückte auf den Rufknopf. Die Schwester kam.
»Herr Bialla muss aufs Klo«, sagte Falko.
Als die Schwester mit Friedrich im Bad verschwand, griff Falko seine Reisetasche und eilte den Flur entlang. Obwohl die Sonne durch die Dachfenster schien, waren die Halogenlampen an den weißen Betonwänden erleuchtet, die Helligkeit tat ihm in den Augen weh. Alle Türen waren geschlossen, und es war still bis auf die Fernsehgeräusche, die aus Lottis Zimmer drangen. Als Falko die Stationstür öffnen wollte, war sie verschlossen. Er rannte zurück in sein Zimmer und konnte gerade noch die Tasche zurück auf sein Bett werfen, als die Schwester mit Friedrich aus dem Bad kam.
»Der hat mich eingesperrt!«, fluchte Falko, nachdem sie gegangen war. »Vosskamp, diese Sau!«
Er schritt das Zimmer auf und ab, seine Ledersohlen quietschten auf dem gelben Kunstharzboden. Er ruckelte am Fenstergriff.
»Danke für deine tollen Ratschläge, Kommissar!«, brüllte er. »Danke, dass mir einmal im Leben jemand hilft! Vier Jahre JVA Tegel, weißt du, was das heißt? Das heißt Nagelpilz an jedem einzelnen Zeh, das heißt ein stinkendes Klo neben dem Bett, das heißt heulend unter der Decke wichsen und bloß keine Schwäche
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