Teufelsberg: Roman (German Edition)
zeigen, niemals, niemals, niemals, sonst bist du am Arsch. Da sind Netze zwischen die Etagen gespannt, damit sich keiner zu Tode stürzt. Einmal ist trotzdem einer gesprungen, den haben sie hinterher Fisch genannt. Fisch wurde erst veräppelt, dann verdroschen, dann gefickt. Dann hat er sich einen Löffelstiel ins Ohr gerammt. Wenn du eingesperrt bist, wo auch immer, sind die Nervenfasern Drähte, und in dir ist eine Winde, die wickelt sie langsam auf, jeden Tag ein Stückchen mehr.«
Falko ließ sich auf sein Bett fallen, boxte ins Kissen. Er drehte sich auf den Rücken und starrte durch das Kuppelfenster in den klumpigen Himmel. Er kniff die Augen zusammen, bis alles verschwamm. Die Wolken verwandelten sich in den Putz einer Zimmerdecke, verschattet von Spinnweben. Falko atmete gegen die Zimmerdecke, und die Decke warf seinen Atem zurück. Irgendwann lag Falko nicht mehr eingesperrt in der Zelle, sondern er war die Zelle, ein atmender Raum in einem Haus. Der Raum atmete, und das Haus warf den Atem zurück, bis Falko keine Zelle mehr war, die in einem Haus steckte, sondern ein Haus, das unter dem Himmel stand. Das Haus atmete, und der Himmel warf den Atem zurück, bis Falko draußen war, bis er der Himmel war, der gegen die Ewigkeit atmete.
Als die polnische Küchenfrau das Mittagessen brachte, fühlten Falkos Lungen sich kühl an.
»Rinderroulade für Herrn Sprenger und für Herrn Bialla den Schweinebraten«, sagte sie. »Und zum Nachtisch gibt es Creme.«
Langsam stand Falko vom Bett auf und nahm Friedrich an die Hand. Der alte Mann folgte ihm bereitwillig zum Esstisch, aber wie am Morgen rührte er sein Essen nicht an. Falko schnitt das Schweinefleisch klein und fütterte ihn. Zwischendurch aß er selbst etwas von seiner Rinderroulade, sie war trocken, die dunkle Soße schmeckte nach Maggi.
»Ich schaffe es immer nur, der Himmel zu werden«, sagte er, »aber nie die Ewigkeit. Ich atme mich durch die Wände bis an die letzte Wand. Manchmal sehne ich mich nach der Stelle, wo nichts mehr ist. Aber ich hüte mich vor dieser Stelle. Das Leben ist nämlich ein Knast, Kommissar. Ohne die Wände würden wir wegfließen wie frischer Gips und als brüchiger Flatschen liegenbleiben. All die Irren hier, Beate und Sylvia und Lotti und Annika und Xaver, alle sind brüchige Flatschen. Auch du, Kommissar. Ihr hattet alle euren Moment ohne Wände, und dafür bezahlt ihr hier. Freiheit gibt es nur im Wahnsinn und im Tod. Und der Tod ist bestimmt nichts Großes. Da wartet kein weißes Licht, keine Erlösung, kein Friede. Wollen wir wetten? Wenn einer vor der Glotze abkratzt, in Badelatschen, beim Kinderpornogucken, mit seinem nassen Schwanz in der Hand, dann hat der nicht noch mal schnell ein Erweckungserlebnis, dann stirbt der so, wie man einen fahren lässt. Und im Jenseits glotzt und wichst er dann weiter. Wenn der Tod einen Sinn hätte, müssten die Arschlöcher unsterblich sein, weil der Sinn mit ihnen nichts anfangen kann. Es bringt nichts, sich den Löffelstiel ins Ohr zu rammen. Kommissar! Du musst das Essen auch schlucken, verdammt.«
Friedrich hatte ihn die ganze Zeit angestarrt, statt zu essen. Falko schenkte etwas Saft in ein Glas und kippte ihn Friedrich in den Mund. Instinktiv schluckte der alte Mann die Flüssigkeit und mit ihr auch den Nahrungsbrei.
»Du musst nicht glauben, dass meine Opfer unschuldig sind. Sie sind ja nicht einmal Opfer. Sie wissen, dass sie betrogen werden, tief innen wissen sie das. Und trotzdem machen sie mit, sie wollen es so. Übrigens, ich will es nicht. Lach nicht, es ist wahr, ich bin kein echter Betrüger. Die echten Betrüger sind nicht im Knast, die sitzen auf den Bahamas, die sind nicht zu überführen. Aber Leute wie ich, wir glauben an das, was wir tun. Wir haben eine Idee, und alles läuft super, wir machen Kohle und sind wer. Dann läuft was schief. Dann versuchen wir, Zeit zu gewinnen, verschieben Geld, vertrösten die Leute, lügen sie an, aber die ganze Zeit glauben wir an uns. Auch wenn die Blase platzt, wenn man dich wegen Konkursverschleppung drankriegt. Bei meiner Verhaftung war ich sauer, ich dachte, diese Idioten vermasseln mir das Geschäft. Hätten die mir noch drei Tage gegeben, wäre alles wieder im Lot. Ich hätte es hingekriegt. Du musst kauen. Hallo, kauen! Wenn du weiter das Fleisch so runterwürgst, gibt es nur noch Broccoli und Kartoffeln. Na gut, du hast es so gewollt.«
Er zermatschte die Kartoffeln und den schlaffen Broccoli in der hellbraunen,
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