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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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Surren wurde lauter.
    Die Luft war aufgeraut, aber nirgendwo war das entscheidende Körnchen, nirgendwo war irgendein Zentrum, es gab nur eine diffuse Fläche, die sich ins Unendliche zog, und es war zu spät, in diese Fläche etwas hineinzudenken, ein besseres Leben, einen anderen Sinn. Und selbst wenn er es täte, dachte Vosskamp, würde sich doch am Ende wieder alles auflösen und ihm nichts entgegenbringen als unendlichen, unerträglichen Gleichmut.
    Mit dem Draht begannen seine Erinnerungen zu surren, immer schneller. Er wunderte sich, wie viel Vergangenheit in wenige Sekunden passte. Er dachte an seine Kindheit, als er überall Gesichter suchte, in den Rostflecken der Heizung, in den Wassertropfen am Fenster, in der Raufasertapete seines Kinderzimmers, die er abends im Schein der Nachttischlampe von seinem Bett aus betrachtete. Anfangs erschienen ihm die winzigen Ausstülpungen der Tapete als Gesichter einer anonymen Masse, aber mit der Zeit erkannte er einzelne wieder. Es gab Flecken, die sich mochten, und welche, die verfeindet waren, es gab Cliquen und Außenseiter, Liebespaare und Familien, und alle kannten ihn und halfen ihm herauszufinden, was hinter der Wand im Badezimmer vor sich ging. Manchmal war es schon spät, wenn er hörte, wie das Badewasser einlief.
    »Deine Mutter hat einen ziemlich mickrigen Busen«, sagten die Raufaserflecken. »Und ihre Nippel sind stiftförmig. Merkwürdig, kommt das vom Stillen?«
    »Ich will nicht wissen, wie der Busen meiner Mutter aussieht«, erwiderte Bernd.
    Die Raufaserflecken kicherten. Drüben hörte er es plätschern.
    »Jetzt legt sie sich rein«, berichteten die Raufaserflecken.
    »Heult sie?«, fragte Bernd.
    »Nein. Sie guckt versteinert.«
    Die Mutter drehte den Wasserhahn ab. Es wurde still, und Bernd konnte seinen Herzschlag hören. Er lauschte ihm lange. Drüben, im Halbdunkel, im Regal, sah er die Silhouetten der Lurchi-Figuren, der Blechtankstelle und der Elastolin-Ritterburg.
    »Hat sie es getan?«, fragte er schließlich.
    »Denk doch mal logisch«, antworteten die Raufaserflecken. »Wenn sie sich den Puls aufschneiden will, macht sie das nicht, während das Wasser noch einläuft, oder? Und nachdem sie den Wasserhahn abgestellt hat, hast du keinen Schmerzenslaut gehört. Also hat sie es nicht getan.«
    Es plätscherte wieder.
    »Und jetzt?«, fragte Bernd.
    »Sie wäscht sich nur. Hörst du nicht, wie sie den Schwamm ausdrückt?«
    Er presste das Ohr an die Wand. »Ich höre es.«
    »Und wenn sie sich wäscht«, schlossen die Raufaserflecken, »bringt sie sich nicht um.«
    Aber Bernd presste das Ohr an die Wand, bis es kalt wurde. Erst als er das Gurgeln des ablaufenden Badewassers vernahm, schlief er ein. Mit der Zeit entstand an der Tapete, an der Stelle, an die er abends sein Ohr drückte, ein Schatten.
    Seine Mutter war nicht die einzige Verrückte im Dorf. Die Frau des Melkers wohnte in einer Einrichtung, kam nur am Wochenende heim und sah alle mit aufgerissenen Augen an. Und die Tochter des Bildhauers hielt Familie Vosskamp für die Mafia. Manchmal stand Bernd am sandigen Straßenrand und blickte über den Gartenzaun auf die Marmorskulpturen, ineinander verschlungene Kugeln und Würfel. Ein grüner Mooshauch lag auf dem weißen Stein, in den Ritzen war das Moos schon schwarz geworden. Man erzählte sich, dass die Tochter im Steinbruch verrückt geworden war, in Carrara, wo der Bildhauer seinen Marmor brach und wo alles weiß war, auch die Bäume und der Himmel. Wann seine eigene Mutter verrückt geworden war und wo, wusste Bernd nicht, aber er stellte sich vor, dass der Wahnsinn weiß war.
    »Eure Mutter hat nichts«, sagte der Vater zu Cornelia, als sie mit ihm darüber sprechen wollte. Er stand auf dem Hof, in seinem knielangen Doppelreiher, die schwarze Arzttasche mit den Messingschließen in der einen Hand, in der anderen den Autoschlüssel. Cornelia hatte ihren Arm um Bernd gelegt, er wäre lieber weggelaufen. Er hatte das Gefühl, dass sie eine Regel brach. Sie fixierte den Vater mit ihren saphirblauen Augen, und für einen Moment konnte Bernd mit ihr durch den Filter dieser Farbe blicken und sah alles in einem kühlen, klaren Licht.
    »Mama ist krank«, sagte Cornelia. »Sie liegt den ganzen Tag im Bett, und neulich hat sie das Geschirr zerschmissen. Das mit den grünen Blüten.«
    »Wir haben Geschirr mit grünen Blüten?«, fragte der Vater.
    »Jetzt nicht mehr.«
    Der Vater ließ die Hand mit dem Autoschlüssel hängen, als wäre der

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