Teufelsberg: Roman (German Edition)
standen keine Bücher, sondern ein großes Mainzelmännchen; das hatte meine Mutter im Preisausschreiben gewonnen. Irgendwann will ich ein Haus haben, eher Skulptur als Haus, an der dalmatinischen Steilküste, mit Glasfronten, Swimmingpool und Designermöbeln von Antonio Citterio, dazwischen antike chinesische Plastiken. Und dann gibt es da einen riesigen begehbaren Tresor, in dem sich das Wohnzimmer meiner Eltern befindet und in dem meine Eltern auch leben, und ich kann sie jederzeit besuchen, aber niemand, der mit im Haus wohnt, weiß davon. Alle denken, ich hätte Wertpapiere im Tresor oder irgendwelchen teuren Krempel. Aber in Wahrheit sind da meine Eltern, das Polstersofa, der gekachelte Couchtisch und das Regal mit dem Mainzelmännchen.«
Inzwischen war Friedrich auf seinem Stuhl wieder eingeschlafen, er schnarchte leise mit offenem Mund. Hinter ihm breitete sich die Landschaft aus. Wenn Falko den Kopf zurücklegte, sah er nur den Himmel im runden Fenster, als säße er schon im Flieger. Die Wolken waren grau und schwer. Das Licht wurde langsam trübe.
Erst am Nachmittag wachte Friedrich auf, als ein schwarzhaariger Pfleger Kaffee und Kuchen brachte. Er erkundigte sich kurz nach dem Befinden der beiden Patienten und nahm die ausgefüllten Essensbögen mit.
Falko hielt Friedrich den Kuchen unter die Nase, eine feste, schmale Scheibe Zitronenkuchen mit weißer Glasur. Der Alte warf einen leeren Blick darauf.
»Du musst schon zuhören, Kommissar, wenn dir ein Betrüger ein Geständnis macht«, sagte Falko. »Da kannst du noch was lernen. Zum Beispiel, dass man seine Opfer nicht anschleimen darf. Die müssen glauben, dass sie es sind, die was von dir wollen, die müssen dich regelrecht bedrängen. Lotti habe ich heulen lassen. Vielleicht denkst du, dass ich ein hartes Herz habe. Mag sein. Ich habe hart dafür gearbeitet. Du kannst nur betrügen, wenn du das Mitleid überwindest. Weißt du, wie das geht? Ich nenne meine Methode ›die hohe Kunst der Wunschverlängerung‹. Ich lege einen Punkt in der Zeit fest, an dem ich meinen Wunsch definiere. Ich lege fest, dass alles, was danach passiert und diesem Wunsch widerspricht, nicht zählt. Das ist wie bei einem guten Fick. Du denkst, dieser Fick soll ewig dauern, nach dem Abspritzen mache ich weiter. Aber sobald du gekommen bist, ist die Geilheit weg, und du hörst auf. So ähnlich funktioniert es mit dem Betrügen. Du machst einen Plan, und dann guckst du der Lotti in die Augen, und die sind so verzweifelt, und sie tut dir so leid, und du hast keine Lust mehr auf deinen Plan, du willst Lotti nicht mehr betrügen. Das schaffst du nur mit der hohen Kunst der Wunschverlängerung. Du musst in der Vergangenheit bleiben, an dem Punkt, an dem du den Wunsch definiert hast. Du musst dich zwingen, dich nicht zu verändern. So ähnlich hat es Lotti wohl auch gemacht, als sie sechsundsechzig Jahre auf ihren Verlobten wartete. Von der kann man lernen. Die wahren Helden sind die, die sich treu sind, die nicht was anderes werden wollen. Glaube mir, was Härteres gibt es nicht. Entwicklung ist ohnehin eine Illusion. Vielleicht gibt es sie in der Technik und in der Forschung, aber nicht in der Seele. Die Seele ist ein wirres Ding, das unentwegt zittert und schwankt, eine Fieberkurve, ein Aktienkurs. Wenn der Kurs nach oben steigt, deuten wir das als Entwicklung. Wenn er abstürzt, deuten wir das als Krise, manchmal als Tragik. Aber da gibt es nichts zu deuten, weil es nichts zu gewinnen gibt. Diese Erkenntnis kannst du nur ertragen, wenn du keine Kurve siehst, wenn du bei einem Punkt bleibst. Ich wurde der, der ich sein wollte, nicht der, der ich heute sein will. Es ist auch egal, was ich heute will. Ich bin der Vollstrecker meiner Vergangenheit, ich bin der Pilz im Kopf der Zombieameise. Die befallenen Ameisen beißen sich immer fünfundzwanzig Zentimeter über dem tropischen Waldboden fest, da, wo der Pilz am besten gedeiht. Die Forscher haben bis heute nicht rausgefunden, wie der Pilz das hinkriegt. Sie vermuten, er scheidet ein Gift aus, das das Nervensystem der Ameise manipuliert.«
Hinter den Wolken ging die Sonne milchig unter, die Lichter der Stadt in der Ferne flackerten auf. Falko sah auf die Uhr. Er hatte nur noch wenig Zeit.
»Kommen wir mal zum Schluss, Kommissar. Ich bin gut im Manipulieren. Hast du das bemerkt? Warst du nicht dabei, als ich mit Denta Bion in der Schweiz telefonierte? Grüezi Plüezi Düezi, ich kann überhaupt kein Schwyzerdütsch, und in
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