Falko, der nur sein gelbes Jackett trug, begann zu frieren. Er hatte nicht an den Pförtner gedacht, jetzt musste er eine halbe Stunde warten.
Er spazierte den Teufelsberg hinunter, zog die Schultern hoch und schlang die Arme um den Körper. Aus dem Wald kam ein Knacken, dann ein Flattern. Dann war es wieder still.
Falko holte sein Handy aus der Tasche und bestellte ein Taxi; wenn er Glück hatte, wenn die Autobahn frei war, würde er den Flieger nach Zürich noch erreichen. Eine Weile hüpfte er auf der Stelle, um sich warm zu halten, und lauschte dem Geräusch der Steine unter seinen Füßen.
Er tastete nach den zwei Schecks in seiner Hemdtasche, sie knisterten unter dem Druck seiner Finger. Er nahm sie heraus und sah sie an, die blassblauen Felder voller Buchstaben und Zahlen. Er betrachtete sie lange. Beide Unterschriften waren kindlich, Beates war rund, Lottis zittrig.
Falko steckte die Papiere wieder ein und setzte seinen Weg fort. Jemand klopfte unten an die Tür des blauen Pförtnercontainers und wurde hineingelassen. Falko sah auf die Uhr, es war Viertel vor sieben, Schichtwechsel. Am offenen Tor hielt das Taxi.
Falko sah sich noch einmal um. Der beleuchtete Arm des Baukrans schwebte über der Cardea wie ein Diadem. Auf einmal schien das Diadem zu wackeln. Falko blinzelte, dann ging er weiter. Noch einmal nahm er die beiden Schecks aus seiner Tasche, und ohne hinzusehen, riss er sie entzwei, hob den Arm und ließ sie davonflattern. Einige der Fetzen flogen in den Wald, andere schwebten zu Boden und blieben auf dem schwarzen Asphalt kleben. Es war spät, Falko hätte jetzt rennen müssen, stattdessen wurden seine Schritte langsamer.
Nicki und Bucki
A uf einmal war sie da. Sie trug einen schwarzen Pullover voller Wollmäuse, eine Libellenbrosche und einen verfilzten Strickrock aus zimtfarbenem Angora. Die Stiefelspitzen waren aufgerieben, die Sohlen schief gelaufen. Sie war mager und grauhaarig. Dort, wo der Mund war, bog sich ein scharfer Strich nach unten, in den Falten ringsum hing Lippenstift, und auf der zierlichen, leicht nach oben geschwungenen Nase lagen Runzeln in Form eines entnadelten Tannenbaums. Nur die Augen waren dieselben geblieben, saphirblau und mit einem Ausdruck, als wären sie über die eigene Farbe erschrocken. Sie benutzte noch immer Rive Gauche, das elegant und abweisend roch.
Es war Montagvormittag, der 17. Januar. Bernd Vosskamp hatte gerade eine Patientin verabschiedet und war dabei, seine Mails zu checken. Einen Moment lang versuchte er, sich einzureden, die vorgealterte Frau in seinem Büro sei eine Verwirrte von der B, die sich im Nordturm verlaufen hatte. Er spürte das scharfe Zucken des Adrenalins in seinem Körper. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Was machst du denn hier?«, fragte er schließlich.
»Ich möchte mit dir reden.« Ihre Stimme war immer noch mädchenhaft und klar, mit dem vertrauten dunklen Unterton.
»Jetzt? Hier? Warum?«, fragte er.
»Warum nicht?«
»Ich bin bei der Arbeit«, sagte er und ärgerte sich über seine atemlose Stimme. »Warum hast du dich nicht angemeldet?«
»Ich bin aus Neustadt hierher getrampt. Ich wusste nicht, wann ich da sein würde.«
»Getrampt? Bist du weggelaufen?«
»Ich will mit dir reden.«
Sie steuerte die Sitzecke an und ließ sich dort nieder, nicht auf dem Patientensofa, sondern in seinem Sessel. Ihr Hinterkopf ragte über die Lehne, und Vosskamp sah, dass sich die Locken an einigen Stellen zu platten Nestern verfilzt hatten.
»Ich kann jetzt nicht reden«, sagte er. »Ich habe Patienten, ich habe Sitzungen, und ich muss am Sonntag einen wichtigen Vortrag halten.«
»Das hier ist wichtiger.«
Sie drehte sich im Sessel zu ihm um, sah ihn an und begann langsam zu wippen.
Vosskamps Blick schweifte über den Schreibtisch. Das neue Heft von »Nogurana« lag da, der »Zeitschrift für Philosophie und Zeitgeist«; er hatte es noch nicht gelesen. Das schreckliche Metallpuzzle, Geschenk irgendeiner dankbaren Patientin, hatte seine Sekretärin immer noch nicht entsorgt. Schließlich betrachtete er die blauen Kugeln vor den ungelesenen Nachrichten im Mailprogramm, und unwillkürlich las er die Betreffzeilen. Der Newsletter von Primal Prevention war dabei und, ganz unten, endlich eine Nachricht von
[email protected]. Darauf wartete Vosskamp schon seit Wochen. Er hob den Kopf und sah durch die gewölbten Fenster nach draußen, über das Dach der Cardea hinweg auf den Südturm. Ein grauer Himmel