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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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leicht in die Augen, und wieder stöhnte er. Dann hob er den Kopf.
    »Cornelia, ich wusste doch gar nicht, dass dir die Schafe so wichtig waren. Ich habe immer nur gesehen, wie viel Mühe du mit ihnen hattest. Wie sie ständig unter dem Zaun durchgekrochen sind, weil Papa zu blöd war, den Spanndraht zu ziehen, und wie du sie wieder einfangen musstest. Überall haben sie die Beete zertrampelt. Das ganze Dorf war sauer auf dich. Vor diesem Hintergrund war es doch schlau von mir, die Schafe zu verkaufen.«
    »Ja, genau diese Schläue, Bernd, die macht dich so verächtlich.«
    Der Ausdruck ihrer Augen hatte sich verändert, die saphirblaue Farbe schien aus ihnen herauszuschwimmen und in den Raum zu gleiten. Vosskamp dachte daran, wie mächtig Cornelia ihm immer vorgekommen war, damals, als sie noch Kinder waren, und das erste Mal fragte er sich, ob sie sich ihrer Wirkung überhaupt bewusst war. Er stand auf und stützte sich mit seinen Händen auf dem Schreibtisch ab.
    »Ich kann es ja verstehen«, sagte er, »dass deine Krankheit dir zu schaffen macht. Aber ich muss mich trotzdem nicht von dir beschimpfen lassen.«
    »Rede nicht wie ein Therapeut mit mir.«
    »Tut mir leid, das ist nicht meine Absicht. Aber ich fürchte, ich kann dir nicht helfen.«
    »153 Euro für die Schafe«, sagte Cornelia. »2454 Euro Taschengeld und 39267 Euro fürs Studium.«
    »Was?«
    »Ich habe während des Studiums vier Jahre lang 400 Mark gekriegt. Du hast acht Jahre lang 1000 Mark gekriegt, plus Stipendium, also acht Jahre lang 2000 Mark. Wenn man das mit meinem Anteil zusammenzählt und durch zwei teilt, hast du umgerechnet 39267 Euro mehr gekriegt als ich. Abgesehen davon, dass es unanständig von dir war, von unseren Eltern Geld zu nehmen, obwohl du ein Stipendium hattest. Insgesamt, also mit dem ganzen Taschengeld, das du hattest und ich nicht, und mit dem Verkaufspreis der Schafe und der Pacht für die Wiese kriege ich also 41874 Euro von dir.«
    »Das ist total verrückt!«, rief Vosskamp. »Das ist doch alles Vergangenheit!«
    »Und das sagst du mir?«
    Vosskamp ließ sich zurück auf seinen Schreibtischstuhl sinken. »Gut. Mal angenommen, dieses absurde Rechenspiel hätte irgendeinen Sinn. Warum willst du dann die Hälfte von meinem Stipendium haben? Und warum acht Jahre? Du hast doch nur vier Jahre studiert und nicht promoviert wie ich.«
    »Weil ich all das auch erreicht hätte, wenn ich nicht die ganze Kindheit über die Dienstmagd der Familie, die Lebensretterin unserer Mutter und deine Beschützerin und Kindergärtnerin gewesen wäre.«
    »Aha? Du hättest habilitiert und wärst Chefärztin geworden?«
    »Ja, so was in der Art. Wahrscheinlich mehr, weil ich begabter bin als du.«
    Vosskamp lachte trocken auf. »Entschuldige, aber das ist grotesk. Ich habe Karriere gemacht, weil ich diszipliniert und strukturiert war und alles gut geplant habe, nicht weil ich am Anfang etwas mehr Geld hatte als du.«
    »Nein«, sagte Cornelia, »du hast Karriere gemacht, weil du Nicki und Bucki verkauft hast.«
    Vosskamp stand auf und ging zur Sitzecke hinüber. Er setzte sich auf das Patientensofa. Lautlos drehte sich Cornelia in ihrem Sessel zu ihm um.
    »Glaubst du, ich habe das nicht mitbekommen, Cornelia?«, fragte er. »Wie du schuften musstest, wie du Kummer hattest, wie Mama ihre Launen an dir ausließ? Das war auch für mich traumatisch.«
    »Warum hast du mir dann nicht geholfen? Du hast ja nicht mal deine Joghurtbecher weggeräumt.«
    »Kann man das einem kleinen Jungen verübeln, wenn er sich vor der Hausarbeit drückt? Ich war noch ein Kind, Cornelia, ich konnte nichts dafür, dass du die Ältere warst. Du hattest Pech, ich hatte Glück, aber das ist weder deine noch meine Schuld. Das ist Schicksal.«
    »Ich war auch noch ein Kind, als ich mich dazwischenstellte, wenn unsere Mutter dich mit der Reitpeitsche verprügeln wollte.«
    »Dass Mama mich jemals verprügeln wollte, ist mir neu. Da kann ich mich nicht dran erinnern.«
    »Du warst auch erst drei«, erklärte Cornelia, »und ich war sieben. Aber du warst schon vierzehn, als du die Joghurtbecher stehen gelassen und meine Schafe abgeschoben hast.«
    »Was willst du mir damit sagen? Dass du schon mit sieben moralisch besser warst als ich mit vierzehn?«
    »Ja.«
    Vosskamp beugte sich vor. »Und du hast nie was Unmoralisches getan? Dein ganzes Leben lang nicht? Du warst immer die Gute, und ich war der Böse?«
    »Ja.«
    »Dir muss doch auffallen, wie schief dein

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