Teufelsberg: Roman (German Edition)
zwanzig Milligramm Escitalopram und zweihundert Milligramm Amisulprid.«
»Zweihundert ist in der Akutphase viel zu wenig«, sagte Vosskamp. »Wir gehen auf achthundert rauf, mit dem Quetiapin auf sechshundert.«
»Sie klagt aber über Heißhunger, Schwindel und extrapyramidale Störungen.«
Vosskamp blätterte in der Akte. »Geben Sie gegen die EPS zwei Milligramm Biperiden pro Tag. Mit dem Rest muss sie klarkommen.«
Jetzt mischte sich Rolf Langenfeld ins Gespräch. Er war hager und kahlköpfig, seine Wangen blau geädert. Er arbeitete als klinischer Psychologe auf der Station. Außerdem leitete er die Supervision für die Psychiater und Therapeuten in der Cardea. Im Gegensatz zu allen anderen hatte er während des Berichtes der Thewes weitergegessen. Seine Glatze schimmerte in der Sonne, die für einen Augenblick durch das Oberlicht ins Dienstzimmer schien. »Die Dynamik, die Frau Thewes beschreibt, ist allerdings bemerkenswert«, sagte er mit seiner brüchigen Tenorstimme. »Meiner Meinung nach handelt es sich dabei um eine projektive Identifikation. Frau Berger bezieht unbewusst die gesamte Station in die Konfliktkonstellation mit ihrem Mann mit ein. Haben wir eine Borderline-Störung ausgeschlossen? Das Agieren und das selbstverletzende Verhalten sprechen doch dafür.«
»Aber so eine Störung manifestiert sich doch nicht erst mit vierzig«, entgegnete Vosskamp. »Frau Berger ist schizophren, keine Frage. Die obligatorische Borderlinerin der Station, das ist die Annika Fechner. Was macht denn unser Sorgenkind, Frau Thewes?«
»Heute Nacht hatte sie einen Anspannungszustand. Insgesamt wirkt sie unkooperativ. Sie hat das Ciatyl-Z verweigert, wir müssen es als Depot spritzen. Als Bedarf kriegt sie Diazepam. Sie ist seit dem 3. Dezember hier, und es wird nicht besser. Vielleicht sollten wir sie auf eine Spezialstation verlegen.«
»Ich habe schon mit der Eschenallee telefoniert«, ergänzte der Stationsarzt Neef. »Aber für eine DBT ist Frau Fechner noch nicht stabil genug. Sie muss sich da an einen Therapievertrag halten, sonst fliegt sie gleich wieder raus, und das würde sie noch mehr verunsichern. Ich bin übrigens gar nicht sicher, ob da eine Borderline-Störung vorliegt. Ich tippe eher auf eine posttraumatische Belastungsstörung. Dafür sprechen die Albträume, die Gereiztheit, die Hypervigilanz. Der Anspannungszustand heute Nacht war vielleicht ein Flashback. Sie hat doch um sich geschlagen. Vielleicht hat sie damit den Täter abgewehrt.«
»Wie lange wollen Sie noch aus Ihren Lehrbüchern zitieren, junger Mann?«, fragte Vosskamp. »PTBS, das ist doch eine Modediagnose. Jeder will plötzlich traumatisiert sein und sich als Opfer feiern und trösten lassen. Diesen Happen sollten wir Frau Fechner nicht hinwerfen, sonst kommt sie gar nicht mehr auf die Beine.«
Neef klickte mit der Magnetverschluss-Brille, die vor seiner Brust hing. »Aber die Symptome von Borderline und PTBS sind nicht immer so leicht voneinander zu trennen«, sagte er. »In der Fachwelt wird ja auch diskutiert, ob Borderline nicht grundsätzlich als komplexe PTBS aufzufassen wäre.«
»Soso, in der Fachwelt?«, fragte Vosskamp. »Und wo ist die Fachwelt? Nach Ihrer Meinung offenbar nicht hier am Tisch?«
»Doch, natürlich«, antwortete Neef. »Aber warum haben wir solche Angst davor, Mitleid mit unseren Patienten zu haben? Als würde das Mitleid die Krankheit füttern. Warum entziehen wir einer jungen Frau, die offenkundig was Schlimmes erlebt hat, unsere Zuwendung? Einsamkeit kann doch keinen gesund machen. Ich finde das ganz inhuman. Und ich mache mir große Sorgen um Frau Fechner.«
»Werden Sie doch Seelsorger«, sagte Vosskamp, »wenn Sie so gerne Mitleid haben und Händchen halten wollen. Als Mediziner brauchen Sie professionelle Distanz, wenn Sie das nicht begreifen, sind Sie hier fehl am Platz, und vor allem schaden Sie den Patienten. Habe ich Ihnen übrigens die Genehmigung erteilt, mit der Eschenallee zu telefonieren? Was fällt Ihnen eigentlich ein, denen unsere Patienten zu liefern?«
»Ich wollte mich doch nur mal schlaumachen, wie man Frau Fechner helfen kann. Ich habe doch einfach nur mal bei denen nachgefragt. Ganz unverbindlich.«
»Ihnen ist klar, dass ich Sie für dieses Verhalten rügen muss?«, fragte Vosskamp.
Neef schwieg, auch alle anderen rührten sich nicht. Nur Langenfeld biss in sein Mettwurstbrötchen.
Vosskamp sah auf die Uhr. »Geben Sie Frau Fechner Mirtazapin, dreißig Milligramm. Wenn
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