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Teufelsberg: Roman (German Edition)

Teufelsberg: Roman (German Edition)

Titel: Teufelsberg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Dannenberg
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einen Pfad entlang, Falko schob Lotti in ihrem Rollstuhl, bis sie zu einer Eisentür kamen, die wie aus dem Nichts zwischen den Bäumen aufgetaucht war.
    »Das ist ein Bunker«, rief Lotti, »da will ich nicht rein!«
    »Nein, Frau Kaleschke«, sagte der Musiktherapeut und drückte die schwere Tür auf, »das ist der alte Wasserspeicher.«
    »Ist da Wasser drin?«, fragte Lotti. »Ich will nicht in das Wasser.«
    »Aber Frau Kaleschke, der Speicher ist seit 1968 außer Betrieb.«
    »Aber er könnte geflutet werden.«
    »Beruhigen Sie sich. Es ist alles ganz harmlos.«
    Eine Treppe führte in das Gewölbe hinab. Es bestand aus lang gestreckten Rundbogendecken, die von Säulen gehalten wurden. Drei Scheinwerfer tauchten einen kleinen Bereich in fahles Licht, der Staub auf dem Boden war samtig, wie Meeresboden. Dahinter verschluckte die Dunkelheit den Raum.
    »Da will ich nicht rein«, wiederholte Lotti, aber schon hatten zwei Pfleger sie aus ihrem Rollstuhl gehoben und trugen sie nach unten.
    »Ich will aber nicht!« Nicht nicht nicht nicht, antworteten die Wände.
    »Scheiße«, sagte Falko, und die Wände antworteten sofort. Die wilde Kapusta begann zu lachen, bis ein irres Wiehern die Gruppe umkreiste. Die Pfleger stellten einige Gartenstühle im Kreis auf und verteilten die Instrumente. Den Gong hängten sie an ein massives Holzgestell. Mit einer Armbewegung wies der Musiktherapeut auf die Stühle, die Gruppe setzte sich.
    Lotti sah Friedrich, der nicht einschlief wie sonst, sondern alle Anwesenden musterte. Luried hatte den Kopf gesenkt; seit Xaver ihre Gitarre zerstört hatte, sprach sie nicht mehr. Der Dicke hatte aufgehört, mit seiner Hand zu reden.
    Der Musiktherapeut sah jeden an und machte spitze Lippen.
    »Plong!«, sagte er schließlich, und alle zuckten zusammen. Der Ton donnerte durch die Tiefen des Raumes.
    »Fantastisch«, rief die Tanztherapeutin aus.
    Das »Isch« vermengte sich mit dem »Ong«. Die Ergotherapeutin fügte ein »Wuihui« hinzu, und der Psychologe begann zu grollen, bis ein hallendes Getöse entstand. Als es verebbt war, trat wieder Schweigen ein, und der Musiktherapeut zeigte auf die Instrumente, welche die Patienten in den Händen hielten, er machte auffordernde Bewegungen, aber keiner rührte sich.
    Plötzlich begann der Musiktherapeut zu singen, Lotti erkannte das Lied »Es war ein König in Thule, gar treu bis an sein Grab«. Seine Kolleginnen stimmten ein, der Psychologe kannte den Text nicht, sang aber mit: »Lalalalala!« Der Raum gab Antwort, es wurde lauter und lauter, es klang nach einem Chor aus Feuerwehrsirenen, Geigen, Gewitter und brüllenden Kindern. Es dauerte lange, bis Stille eintrat.
    Dann schlug Sylvia auf eine Klangschale, der hohe Ton jagte in den Raum, sie versuchte, das Geräusch zu stoppen, indem sie die Klangschale mit beiden Händen packte, aber der Ton hatte sich schon verselbstständigt und irrte durch die Hallen. Der Musiktherapeut sah jeden einzeln mit seinen feuchten Augen an.
    Es war Falko, der als Erster aufstand und herumging. Das Knirschen unter seinen Füßen wurde panzerhaft laut, niemand verstand die Anweisungen, die der Musiktherapeut gab, und die Patienten folgten Falkos Beispiel und durchwanderten die Halle, gefolgt von den Pflegern, die aufpassten, dass keiner verloren ging.
    Die beiden Therapeutinnen stellten sich an die entgegengesetzten Enden des Raumes und riefen sich etwas zu. Lotti konnte die Worte nicht verstehen, weil die Silben sich gegenseitig überholten. Auf einmal rannten die Therapeutinnen aufeinander zu, fielen sich in die Arme und wiegten sich hin und her.
    Der Psychologe nahm einen Klöppel und schlug auf den Gong ein, immer schneller und härter, das Grollen breitete sich in Wellen aus, die den Raum durchfluteten und in einem chaotischen Gebrüll mündeten.
    Lotti starrte auf die Scheinwerfer oben an der Tür.
    Sie waren aus dem gefluteten S-Bahntunnel in den U-Bahntunnel umgestiegen, Frau Hähnel und sie, an der Friedrichstraße, und blieben dort, im Gleisbett unter dem Vorsprung der Bahnhofsplattform und hörten es draußen grollen. Irgendwann war es still, schließlich verebbte auch die Stille. Manchmal zuckte Lotti zusammen und dachte: Sitze ich hier schon lange? Oder erst seit wenigen Sekunden? Atmen wir noch, oder ist jeder Atemzug der letzte, der sich nur ewig wiederholt? Und was ist mit Mo…, mit Mo…, mit Mo… kisch… das Gutshaus leuchtete gelb, und Johann Aschmutats Stirn war glatt, und er sagte die Wäsche

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